„Mein Pressburg“ von Josef Wallner. Teil 8: Mit einem Pressburger durch das alte Pressburg

Geschichte
14. August 2023

Es ist an der Zeit, Ihnen meinen Reisebegleiter vorzustellen: Karl Benyovszky, Kriminalbeamter der Budapester Polizei im Ruhestand. Nach dem Ersten Weltkrieg kehrte er in seine Heimatstadt zurück, wurde Journalist, Biograf von Johann Nepomuk Hummel, Pressburger wie er, und populärer Chronist des alten Pressburg. Sein Buch Spaziergang durch Alt-Pressburg, vor einiger Zeit neu aufgelegt, sei Liebhabern der Stadt empfohlen, nicht zuletzt wegen der Illustrationen von Karl Hugo Frech. Benyovszky emigrierte nach dem Zweiten Weltkrieg nach Bad Aussee, Maler und Grafiker Frech, den es 1914 der Liebe wegen nach Pressburg verschlagen hatte, nach Steyr.

Ich beginne meinen virtuellen Stadtrundgang beim Michaelertor, genauer beim Michaelertorturm, als dem stadtseitigen Michaelertor, dem letzten noch erhaltenen Tor der Stadtbefestigung. Die übrigen befestigten Zugänge in die Innere Stadt, Weidritzer Tor, Fischertor und Laurenzertor, sind wie die Tore der äußeren Umwallung der Stadt, Gaistor, Dürre Mauttor, Schöndorfer Tor, Donautor und Spitaltor, schon in Maria Theresias Zeiten verschwunden. Das Michaelertor erinnert mit seiner barocken Haube an einen Kirchturm. Die Touristen erklimmen seine sechs Stockwerke, um ein typisches Pressburg-Pic an ihre Freunde in aller Welt zu senden. Von oben schauen sie auf ihre Gefährten, die sich erst durch die Michaelergasse zu dem vom heiligen Michael gekrönten Turm schieben müssen. Dort angelangt erregt ihre Aufmerksamkeit der in den Boden der Durchfahrt eingelassene Null-Kilometerstein, der die Entfernung von diesem Punkt zu allen möglichen Hauptstädten anzeigt.

Winterzauber in der Michaelergasse.

Mich zieht’s in Gedanken in die entgegengesetzte Richtung, die Michaelergasse (Michalská ulica) stadteinwärts. Eigentlich genügt mir ein Blick hinunter zum ehemaligen ungarischen Landhaus, heute Sitz der Unibibliothek. Die Magnaten tagten hier in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, eine Zeit, in der sie im österreichischen Kaisertum nicht unbedingt viel zu reden hatten. Aber immerhin wurde hier 1825 auf Antrag – und mit dem Angebot großzügiger finanzieller Unterstützung – von Gróf Széchenyi István die ungarische Akademie der Wissenschaften begründet.

Széchenyi war Ungar und dem österreichischen Kaiser loyaler Untertan. Letzteres hat ihm bei Metternich nichts genützt, der den Reformer, viele nennen ihn bis heute den größten Ungarn – und mir ist er jedenfalls weit sympathischer als sein Konkurrent um diesen Titel, Lajos Kossuth – stets misstrauisch beäugt hat. Metternichs Epigonen taten es ihm gleich und drohten dem seit Jahren in einem Döblinger Sanatorium weilenden ungarischen Wiener, er ist in der Herrengasse Nr. 5 im heutigen Palais Wilczek geboren, seine Verbringung in eine staatliche Irrenanstalt an. Der große Förderer der ungarischen Modernisierung, unvergessen sein Einsatz für die Errichtung der Kettenbrücke zwischen Ofen (Buda) und Pest, wählte daraufhin den Freitod.

Pressburg um 1900. (Fortepan / Schermann Ákos)

Der ungarischen Nation waren aber selbst in den vormärzlichen Landtagen von Pressburg Erfolge beschieden. So wurde in diesem Haus in den 1840er Jahren Ungarisch als Amtssprache in der gesamten Landesverwaltung und als Unterrichtssprache anerkannt. (Viele stolze magyarische Aristokraten beherrschten damals Ungarisch allerdings nicht ausgesprochen gut.) Ein paar Jahrzehnte später schlug das Pendel in die andere Richtung aus und die Ungarn übertrieben es mit ihrer Magyarisierung. Das hätte einen großen Slowaken, Ľudovít Štúr, der 1847 am letzten Pressburger Landtag teilgenommen hat, sehr geschmerzt. Er klagte schon ein paar Jahrzehnte früher in einer Schrift über Die Beschwerden und Klagen der Slaven in Ungarn über die gesetzwidrigen Uebergriffe der Magyaren.

Palais der Ungarischen Königlichen Kammer.

Fast über jedes Haus in der Michaelergasse weiß mein Begleiter Benyovszky viel zu erzählen. Aber was bleibt von all diesen Geschichten, was merke ich mir nur ein paar Minuten über das Lesen hinaus? Leider nicht viel. Und dennoch möchte ich weiter eintauchen in die vielen Geschichten der Häuser und der Menschen, die sie bewohnt haben. Waren die Segner stolz auf ihr Renaissancepalais, fertiggestellt in dem Jahr, in dem der Dreißigjährige Krieg zu Ende ging? Ich vermute, ja. Immerhin ist es das schönste Haus in der Michaelergasse, und ihr Name prangt noch an der Fassade. Sie kamen aus St. Georgen (Svätý Jur), dem berühmten Weinort in den Kleinen Karpaten, heute in weniger als einer halben Stunde von Pressburg aus zu erreichen. Prominentester Spross der Bürgerfamilie ist Johann Andreas von Segner, Erfinder des Segner-Rads, das zur Grundlage für die moderne Turbine wurde.

Die Michaelergasse war immer ein guter Boden für zuagraste Pressburger. So ließ sich gegenüber vom Segnerhaus der Siebenbürger Sachse Simon Peter Weber nieder, der erste freisinnige Buchdrucker der Stadt, wie man das damals nannte, und ein Stück weiter oben, neben dem Michaelerturm, wohnte der aus den böhmischen Ländern stammende Johann Nepomuk Batka. Dieser wollte gar nicht lang in der Stadt bleiben, er sollte nur die neue Orgel in der evangelischen Kirche in der Nonnenbahn ausprobieren. Aber wo die Liebe hinfällt – oder auf wen man sein Auge wirft, was in diesem Fall besser passt, denn Komponist Batka verliebte sich in die Tochter eines Pressburger Optikers und blieb in der Stadt picken, was für die Geschichte der Stadt nicht unwesentlich war, denn sein Sohn gleichen Namens wurde ein bedeutender Stadtarchivar.

In der Nähe des ehemaligen Batka-Hauses bieg ich auf meinem Stadtspaziergang in Gedanken in die Schlossergasse (Zámočnícka) ein, nicht ohne zuvor noch der Venturgasse (Ventúrska) meine Referenz zu erweisen. Pálffy, Zichy, Erdödy – eine feine Auslese der ungarischen Aristokratie residierte in der Venturgasse. Hinter den Mauern ihrer Palais wird sich manches des Erinnerns werte abgespielt haben, am Pálffy-Palais, erster Sitz der österreichischen Botschaft nach Gründung der unabhängigen Slowakei, weist eine Gedenktafel darauf hin: Mozart war hier! Im Zichy und im Erdödy, dem schönsten Rokoko-Palais der Stadt, können Sie heute tafeln.

Zurück in die Renaissance und zur hohen Wissenschaft (Sie erinnern sich an den Mathematiker Segner) bringt mich ein anderer Ort in der Venturgasse: Das alte Münzhaus, in dem – Überraschung! – die städtische Münze ihren Sitz hatte, nachdem Pressburg 1430 das Münzrecht erhalten hatte. Das Haus interessiert mich nicht wegen Gold und Silber, sondern der Universitas Istropolitana wegen, jener von Papst Paul II. 1465 gegründeten ersten ungarischen Universität. Hinter der Gründung stand Matthias Corvinus, Ungarns bedeutender König aus dem siebenbürgischen Geschlecht der Hunyadi, der zeitweise nicht nur über ungarische Gebiete, sondern auch über österreichische Erblande herrschte und in Wien residierte, nachdem er die Stadt bei ihrer dritten Belagerung endlich einnehmen hatte können. Auch über weite Gebiete der böhmischen Krone wie Mähren und Schlesien gebot Corvinus. Die Einigung Mitteleuropas haben daher die Habsburger weder erfunden noch waren sie die ersten, sie waren nur die mit dem längsten Atem – und einem guten Marketing.

Matthias Corvinus (Quelle: Wikipedia)

Zum Freund seines habsburgischen Kollegen, Kaiser Friedrich III., haben Corvinus seine Ambitionen freilich nicht gemacht. Beider Streit begann schon mit dem Kampf um Ungarns Krone: Die Westungarn wollten Friedrich, die im Osten den Raben (corvus, lat. Rabe). In Wien ist Corvinus, Europas wichtigster Renaissancefürst nördlich der Alpen, 1490 gestorben. Eine schöne Leich konnten ihm die Wiener nicht bereiten, er ist in Stuhlweißenburg (Székesfehérvár) begraben.

Im Jahr von Corvinus’ Tod schloss auch schon die Istropolitana (Istropolis bedeutet Donaustadt) wieder ihre Pforten. Als ihr Erbe sieht sich die 1919 gegründete Comenius-Universität. Wobei: Eine Universität wurde in Pressburg schon ein paar Jahre früher gegründet. Es war 1910, als in den Budapester Zeitungen die Errichtung einer dritten ungarischen Universität – mit Sitz in Pressburg – besprochen wurde. In der Preßburger Zeitung tat man dies vorerst als „schöne Erdichtung“ ab. Es mussten sich dann nur ein paar andere ungarische Städte für die Uni interessieren, dass man in den Pressburger Medien doch hellhörig wurde. Der Magistrat war ohnehin an der Sache dran. Es wurde diskutiert, lange und immer wieder.

In ihren Motiven, für Pressburg als Unistadt einzutreten, unterschieden sich die Nationalitäten. Die Ungarn wollten das Magyarische an der Grenze des Reiches (aus österreichischer Sicht war es nur die Hälfte des Reiches) gefestigt wissen, ganz so sicher konnten sie sich Pressburg doch nie sein. Die Deutschsprachigen wollten die Universität wegen des „intelligenten Elements der deutschen Gegenden“, wie Monika Gletter in ihrer Studie zum Pressburger und Budapester Bildungswesen des Fin de Siècle schreibt. Ungarns Regierung plante in den Zehnerjahren eine wahre Bildungsexplosion (zumindest versuchte man der Bildungspolitik diesen medialen Dreh zu geben). Für Pressburg waren eine katholische und eine evangelische Fakultät geplant, Fünfkirchen-Pécs sollte eine katholische und die calvinistische Hochburg Debreczin-Debrecen eine reformierte theologische Fakultät bekommen. Führende Pressburger Kreise wollten aus Anlass des 80. Geburtstags ihres Königs Franz Josef eine Hochschulstiftung von 100.000 Kronen anlegen. „Die Preßburger Bürger hielten – weniger euphorisch – eine Lehrlingsheimstiftung für eine bessere Idee, solange die Universitätsfrage nicht entschieden war“, resümiert Gletter.

1912 war es schließlich so weit, die Königlich-Ungarische Elisabeth-Universität, wie sollte eine Universität zu jener Zeit in Ungarn sonst heißen, wurde gegründet. Die ersten Vorlesungen, an der juridischen Fakultät, wurden erst 1914 gehalten. „Der Wunsch der Slowaken nach einem Lehrstuhl für slowakische Sprache und Literatur oder auch für Slawistik blieb Utopie. Allerdings mußten – von Seiten der Slowaken selbst – alle Möglichkeiten, die ihnen die Regierung in dieser Richtung bot, abgelehnt werden, da noch im Jahre 1913 von der Budapester Universität nicht ein einziger Privatdozent für Slawistik gefunden werden konnte.“ (Gletter)

Venturgasse

Venturgasse

Schön ist sie, die Venturgasse. Hier wohnte das noble Pressburg, zu dem auch der Namenspatron der Gasse, deren Name im Unterschied zu fast allen anderen der Innenstadt in den letzten Jahrhunderten nicht geändert wurde, zählte: Bonaventura oder Venturinus de Salto, Italiener von Geburt und einer der reichsten Pressburger seiner Zeit, der in der damaligen Neugasse Häuser und Grundstücke besaß.

 

Josef Wallner

Bilder und Fotos: Josef Wallner und Norbert Eisner, Archiv von Pressburger Kipferln, Fortepan, Wikipedia.

Redaktion: Peter Janoviček

Der Artikel wurde ursprünglich in dem Buch „Unterwegs in Altösterreich – Kakanische Reisen von Siebenbürgen bis Triest“ (Verlag Berger, 2020), von Josef Wallner veröffentlicht.

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