„Mein Pressburg“ von Josef Wallner. Teil 2: Pressburger Bahn und Krönungsspektakel

Geschichte
20. November 2022

Zum Wiener Pressburg-Klischee gehört neben dem Theater die legendäre Schienenverbindung zwischen den beiden Donaustädten, die Pressburger Bahn. Sie erinnern sich an den Ausspruch meiner Großmutter? Ach ja, waren das Zeiten, als man mit der Straßenbahn vom Hauptzollamt auf der Wiener Landstraße nach Pressburg fahren konnte!

Pressburger Bahn

 

Nun, dieses Vergnügen hat kürzer bestanden, als Sie vielleicht denken. Denn die Fahrt auf der 1914 eröffneten Strecke war nur wenige Jahre ohne Umsteigen möglich und eine durchgängige Straßenbahnverbindung gab es nie, weil die Pressburger zwischen Schwechat und Kittsee eine klassische Bahnstrecke, wenn auch schon elektrifiziert, war. Aber immerhin hat Otto Wagner die ersten Garnituren entworfen. Sie können im Eisenbahnmuseum Schwechat besichtigt werden. Im Frühling 2016 ist eine Garnitur der Pressburger Bahn auch wieder nach Pressburg gekommen, allerdings auf einem LKW aufgeladen.

Auf die Straßenbahn zur Heimfahrt in die Wienerstadt würden meine Landsleute heute vergeblich warten und so eilen sie eben dem Schiff zu. Der lange Tag in der Stadt hat seinen Tribut, vor allem von den Füßen, gefordert und das eine oder andere Souvenir ist im dünnen Plastiksackerl zu tragen. Von Sightseeing haben sie genug, am ehesten vermag noch die Redoute ihre Aufmerksamkeit für einen Moment zu fesseln. Der neoklassizistische Stil ist ihnen von zu Hause vertraut.

Mit dem Bau der Redoute wurde 1913, also erst knapp vor Torschluss, begonnen. Als sie fertiggestellt war, gab es keine Monarchie mehr und die Redoute war schon etwas aus der Zeit gefallen, wie so viele Gebäude, die knapp vor dem Ersten Weltkrieg errichtet wurden, als der Jugendstil wieder aus der Mode und Protz erneut angesagt war.

Vielleicht war die Redoute im Stil nicht mehr auf der Höhe ihrer Zeit, von der Technologie her, es wurde in Eisen und Beton gebaut, war sie es. Jetzt erstrahlt sie in neuem Glanz und was jahrelang durch schwere Vorhänge dem Blick der Passanten verborgen geblieben ist, lässt nun die Pressburger und ihre Gäste staunen. Was für ein Prunk in Weiß und Gold! Der Vorgängerbau der Redoute diente einem weit nüchterneren Zweck. Maria Theresia ließ hier 1773 einen königlichen Schüttkasten, also Getreidespeicher, errichten. Immerhin wurde dieser von Franz Hildebrandt erbaut.

 

Am ehemaligen Krönungshügelplatz

 

Der Platz an der Längsseite der Redoute hieß zu Kakaniens Zeiten Krönungshügelplatz. Pressburg war, als Ofen-Buda türkisch war, die Krönungsstadt der ungarischen Könige. Sie blieb es auch noch, als die Türken schon lange auf den Balkan zurückgedrängt worden waren. Teil der Zeremonie war, dass der frisch Gekrönte auf einen Hügel aus Erde aus allen ungarischen Komitaten ritt und dort das Schwert nach den vier Himmelsrichtungen strich, als Zeichen, sein Königreich gegen jeden Feind zu verteidigen. In Pressburg wurde diese Zeremonie auf jenem Platz vollzogen, über den die Touristen nun ihren Schiffen zustreben. Für jeden König einen neuen Hügel zu errichten, schien den Pressburgern nicht gerade effizient zu sein. So wurde 1775 ein fester Krönungshügel mit einer Balustrade rundum errichtet, das Herankarren von Erde konnte entfallen.

Ausgezahlt hat es sich trotzdem nicht so ganz, denn nur zwei ungarische Könige zogen ihr Schwert noch auf dem Hügel, Leopold und Ferdinand. Leopold konnte seinen Krönungsschwur nur kurz erfüllen. Schon zwei Jahre nachdem er seinem Bruder Josef II., dieser verzichtete sowohl in Pressburg als auch in Prag auf die Krönungszeremonie, als Regent gefolgt war, starb er. Schade. Er war der letzte Habsburger Herrscher von Format. Aus der Toskana formte er einen wahren Musterstaat des ausgehenden 18. Jahrhunderts und auch in der kurzen Zeit als österreichischer Herrscher bewies er weit mehr Feingefühl als sein Bruder Josef. Die Kunst der Politik besteht darin, in kleinen Schritten, nicht selten geht einer auch rückwärts, als notwendig Erkanntes zu tun und nicht durchs Drüberfahren über alles und jeden, auch wenn das zunächst leichter von statten geht. Denn jene, über die drübergefahren wurde, wetzen ihre Messer und für die meisten Drüberfahrer, sind ihre Motive auch noch so lauter, kommt der Tag, an dem die Messer aus dem Schaft geholt werden. Nicht selten kommt er früher, als sie denken.

Der Krönungshügel wurde in den 1870er Jahren abgetragen. Budapest war zum aufblühenden Zentrum Ungarns geworden und Franz Josef ritt 1867 auf den dortigen Krönungshügel. Der beliebteste ungarische Habsburger König war Franz Josef mit ziemlicher Sicherheit, zumindest in den ersten 20 Jahren seiner Regentschaft, nicht. Maria Theresia hatte auch in Ungarn eine weit bessere Nachrede. Und so wurde ihr 1897, zehn Jahre nach der Errichtung des Wiener Maria-Theresien-Denkmals, in Pressburg ein Monument errichtet, naheliegenderweise auf dem Krönungshügelplatz.

 

Maria-Theresien-Denkmal

 

Beinahe die ganze kaiserlich-königliche Familie musste zu seiner Enthüllung ausrücken. Elisabeth fehlte natürlich, aber Franz Josef berichtete ihr ausführlich vom Festtag in Pressburg: „Sonntag bin ich bei strömendem Regen um 7 Uhr vom Staatsbahnhofe in Wien abgereist und bin um ½ 9 Uhr in Galla in Preßburg angekommen, wo mich am Bahnhofe Fritz [Erzherzog Friedrich], der Primas, die Minister, Bischöfe und andere Große erwarteten und eine Ehren Companie aufgestellt war. Durch ein Truppen Spalier fuhr ich mit Fritz in sein Palais, wo mich Isabelle sammt Töchtern erwarteten. Um 9 ¼ Uhr fuhr ich mit Franzi [Erzherzog Franz Ferdinand] im sechsspännigen Gallawagen zum Monuments Enthüllungs Platze, wo bereits die sehr zahlreiche kaiserliche Familie versammelt war, nebst unzähligen in ungarischer Galla gekleideten, frierenden Herrn. In allen Straßen waren Truppen aufgestellt, welche Fritz zu Pferde kommandirte. Der Bischof von Neutra (Nitra) las unter einem Zelte eine unglaublich schnelle Messe, dann war Gesang, Rede des Bürgermeisters, meine Antwort und die Hülle fiel. Die Reiterstatue ist ganz gelungen aus Marmor ausgeführt. In langem Zuge fuhren wir nun zur Franciscaner Kirche, wo ein neu restaurirter Thurm eingeweiht und ein langes Tedeum gesungen wurde und dann bei wieder begonnenem Regen in das Palais zurück. Dort war um ½ 1 Uhr ein excellentes Familien Déjeuner an zwei Tafeln, da die Zahl der Familien Mitglieder für einen Saal zu groß war. Ich saß zwischen Stéphanie und Isabelle.“

Maria Theresia thronte als ungarischer König (nicht Königin!) hoch zu Ross, was an die an diesem Platz ausgeführte Zeremonie im Rahmen der Krönungsfeier erinnern sollte. Das Denkmal des Pressburgers Fadrusz János (Johann), neben Viktor Tilgner und Alois Rigele Teil des Pressburger Dreigestirns der bildenden Kunst des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, trug die Inschrift Vitam et sanguinem, was an eine der berühmtesten Episoden ungarischer (und damit auch österreichischer) Geschichte erinnert. Leben und Blut für unseren König Maria Theresia! Sie kennen sicher das eine oder andere Bild von diesem Ereignis. Die ungarischen Magnaten zeigten 1741 im Pressburger Schloss Loyalität und sicherten ihrem König Maria Theresia Unterstützung im Kampf gegen Preußen zu, wenn auch nicht ohne Gegenleistung. Der kleine Josef war in Pressburg übrigens nicht dabei, auch wenn uns das viele Gemälde glauben machen wollen, aber auf Propaganda verstand sich der mariatheresianische Hof sehr gut und die ganze Pressburger Geschichte war im wahrsten Sinn des Wortes nur ein gut inszeniertes Bild, es war alles längst ausverhandelt gewesen.

Eine Miniatur-Kopie des Maria-Theresien-Denkmals wurde vor einigen Jahren vorübergehend auf der nahen Donaulände aufgestellt. Es sollte Unterstützer anlocken, die für die Wiedererrichtung des Denkmals auf dem Krönungshügelplatz eintreten. Mittlerweile ist es um diese Initiative ruhig geworden. (Eine etwas eigenartig anmutende Kopie befindet sich nun an der neu gestalteten Donaulände Richtung Karlsdorf.) Und so wird sich an der bisherigen Platzgestaltung wenig ändern. Ľudovít-Štúr darf sein Denkmal behalten und der Platz weiterhin seinen Namen tragen. Die meisten Slowaken werden sich dem Dichter und Politiker auch mehr verbunden fühlen als der Monarchin. Immerhin ist Štúr der größte slowakische Nationaldichter. Er kodifizierte die slowakische Schriftsprache und setzte sich, auch im ungarischen Reichstag, massiv für die Rechte der Slowaken ein. Štúr schrieb, auch das ist keine Seltenheit im alten Mitteleuropa, in Deutsch, Tschechisch, Slowakisch und Ungarisch.

 

Eine Miniatur-Kopie des Maria-Theresien-Denkmals

 

Schräg gegenüber der Redoute, dem Sitz der Slowakischen Philharmonie, steht an der Donaulände das Esterházy-Palais, in dem ein Teil der Slowakischen Nationalgalerie untergebracht ist und das vor Kurzem umfassend renoviert wurde. Den meisten Besuchern Pressburgs fällt davon nur der markante der Donau zugewandte Bauteil aus den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts auf. Es lohnt sich aber, einen Blick in den Hof des alten Palais zu werfen.

Und wo zieht es mich hin? Vielleicht in die Nationalgalerie? Oder ins Berlinka, das hippe Museumscafé in den Räumlichkeiten des traditionsreichen Pressburger Cafés Hungária? Oder ins gegenüberliegende Propeller, das Pressburger funktionalistische Kleinod aus der Zwischenkriegszeit, das innen vor Kurzem leider nicht sehr vorteilhaft umgestaltet wurde. Auch nicht, ich brauch noch frische Luft, und bleib noch ein wenig unter einem Baum auf der kleinen Promenade in der Pressburger Josefstadt sitzen. Ja, auch in Pressburg gab es eine den Menschen in Altösterreich sehr vertraute Einteilung der Stadt. Und so lagen neben der Josefstadt, wenig überraschend, die Theresienstadt und die Franz-Josef-Stadt.

Der kleine Park zwischen Rosengasse (heute Jesenského) und Jägerzeile (Palackého) ist ein Stück meines Pressburgs, nah am Trubel und ihm trotzdem so entrückt, dass ich hier wunderbar Tagträumen kann. Und das Licht ist so schön hier am Abend. Es ist fast schon ein bisschen mein ungarisches Licht. Im Alföld, der großen Tiefebene zwischen Theiß und Donau, hat es mich zum ersten Mal in seinen Bann gezogen. Ein Sonnenuntergang, der nicht so makellos und fein wie im Süden, sondern erdiger ist. (Man verzeih mir dieses etwas schiefe Bild, allein es gelingt mir nicht besser.)

Links nimmt das wuchtige Carlton, Pressburgs Grand Hotel, das in seiner jetzigen Form aus den 1920er Jahren stammt, das Eck von Promenade und Bruckgasse (Mostová) ein. Gasthäuser gab es an dieser Stelle schon seit einer gefühlten Ewigkeit. Begonnen hat es mit dem Gasthaus Zum Schwan, später, im 18. Jahrhundert, folgte der Gasthof Zu den drei grünen Bäumen, der im 19. Jahrhundert von Ignaz Feigler jun., die Feigler zählten zu Pressburgs bekanntesten Architekten, zum legendären Hotel Zum grünen Baum umgebaut wurde. (Das Gasthausschild finden Sie im Stadtmuseum.) Dieses Hotel war das dritte Haus an der Promenade. Am Eck etablierte sich das Hotel National mit dem Café Savoy als großer Konkurrent des Grünen Baums, das der führenden Pressburger Weinhändlerfamilie Palugyay gehörte. Nachdem Heinrich Prüger das National übernommen hatte, kaufte er nicht nur das Haus zwischen den beiden Hotels, sondern auch den Grünen Baum und ließ die drei Gebäude zum Savoy Carlton umgestalten. Der Name Carlton ist eine Referenz an das Ehepaar Karl und Tonka Palugyay. Die schöne Einrichtung des Cafés ist erst vor ein paar Jahrzehnten entfernt worden – ein typisches Pressburger Schicksal.

 

Notre Dame, Pressburg

 

Während das Carlton noch in mein schönes Abendlicht getaucht ist, liegt rechts von mir Notre Dame schon lange im Schatten. Notre Dame ist klein und sehr pressburgerisch mit einem schmalen Vorgarten, der von einem hohen eisernen Zaun abgeschlossen wird. Es ist eine unspektakuläre Kirche in dieser an Gotteshäusern so reichen Stadt und nicht zu vergleichen mit dem stolzen Martinsdom und der Pracht von Jesuiten- und Franziskanerkirche, der schlichten Eleganz der Kapuzinerkirche oder der blauen Elisabethkirche, Ödön Lechners Pressburger Glanzstück. Viele kennen die Silhouette des Jugendstilbaues, errichtet zum Andenken an die in Ungarn vergötterte Königin Elisabeth, weil ein Poster mit dem Bild der Kirche in den durch das östliche Österreich fahrenden Zügen der ÖBB hängt und Werbung für einen Besuch von BratisLOVER macht. Im Unterschied zu anderen großen ungarischen Städten der Monarchie hat Ödön Lechner außer der Elisabeth-Kirche und dem an sie angrenzenden Gymnasium in Pressburg keine weiteren Spuren hinterlassen; schade, denn wie prächtig sind seine Bauten in Budapest, Szegedin (Szeged) und Kecskemét. Merkwürdig, dass die zwei Großen, Wagner in der österreichischen und Lechner in der ungarischen Reichshälfte, jeweils die Postsparkasse in Wien und Budapest planten. Und trotzdem unterschieden sie sich in vielem. Lechner wollte einen nationalen ungarischen Stil in seinen Bauten verwirklichen, während in Wagners Vorstellungen nationaler Impetus keine Rolle spielte. (Einen sehr sympathischen Eindruck macht der große Wagner mit seinem Antisemitismus und seiner Deutschtümmelei, die in seinem vor wenigen Jahren editierten Tagebuch aus den letzten Lebensjahren zuhauf zu finden sind, auf mich aber nicht.)

Josef Wallner

Bilder und Fotos: Josef Wallner und Norbert Eisner, Archiv von Pressburger Kipferln

Redaktion: Peter Janoviček

Der Artikel wurde ursprünglich in dem Buch „Unterwegs in Altösterreich – Kakanische Reisen von Siebenbürgen bis Triest“ (Verlag Berger, 2020), von Josef Wallner veröffentlicht.

Teil 1 hier

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