Der vergessene Doktor Eugen Lesný, Vorläufer und Mitbegründer der Radiologie

Geschichte
6. Februar 2023

Als ich vor einem Jahr das bahnbrechende Buch mit dem Titel „Die Villen über der Burg“ des Autorentandems Berka-Bahna in die Hände bekam, las ich mich sofort mit Vergnügen in das Buch hinein und ließ die Schicksale all jener interessanten Bewohner dieses geschichtsträchtigen Gebietes vor mir Revue passieren. Kaum jemand ist sich bewusst, wie viele wertvolle Gebäude (ob historisch oder architektonisch) in den Hügeln über der Stadt liegen. Eines dieser Objekte ist auch die Villa von Dr. med. Eugen Lesný aus dem Jahre 1933 in der Mošovský-Straße 5. Es handelt sich um ein wertvolles Werk des Architekten Christian Ludwig, der bald als Mitgestalter des ersten Pressburger „Wolkenkratzers“ – Manderlák – berühmt wurde. Noch weniger ist über die Person bekannt, für die er dieses funktionalistische Haus entworfen hat.

 

Eugen Lesný. Quelle: Archiv von Pavol Lesný

Ich denke oft darüber nach, warum einige – zu ihrer Zeit bedeutende – Persönlichkeiten in der Geschichte allmählich in Vergessenheit geraten, während andere in der Erinnerung bleiben. Wer weiß, ob es das Werk des Zufalls ist oder ein geheimnisvolles Modell der Gesetzmäßigkeit? Wie auch immer, der Bauherr der Villa war der heute fast vergessene Dr. med. Eugen Lesný, der Pionier und Mitbegründer der Röntgenologie nicht nur in Bratislava, sondern auch auf dem Gebiet der heutigen Slowakei. Zusammen mit solchen Kapazitäten wie Ľudovít Valach, Hugo Vernár oder Žigmund Križan legte er bei uns die Grundlagen dieses anspruchsvollen und riskanten medizinischen Bereichs. Seine Leistungen sind umso wertvoller, als er aus einer armen Familie stammte und all seine Ausbildung und Gelehrsamkeit durch seine eigene Gewissenhaftigkeit und harte Arbeit erlangte. Er wurde am 30. September 1899 in der Obchodná-Straße (damals Schöndorfergasse) in eine Arbeiterfamilie geboren. Die Volksschule und das Gymnasium absolvierte er bei uns in Bratislava, im damaligen Pressburg, und da es ihn zur Medizin zog, begann er sein Studium 1917 in Budapest, später setzte er es in Pressburg und Prag fort. Promoviert wurde er am 3. Februar 1923 in seinem Geburtsort.

13

Schöndorfergasse um 1905. 

Danach begann er als Sekundärarzt in der chirurgischen Abteilung des Evangelischen Krankenhauses am Palisadenweg zu praktizieren, um herausfinden zu können, welchem Bereich der Medizin er sein Leben widmen möchte. Ende 1929 wurde ihm klar: die Radiologie überzeugte ihn am meisten, eine bis dahin unerforschte Fachrichtung, die jedoch durch ihre Komplexität und die sich entwickelnden Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie attraktiv war. Deshalb absolvierte er zwei Jahre lang ein Fachstudium bei Guido Holzknecht in Wien, Ferdinand Sauerbach in Berlin sowie bei Hans Holfelder in Frankfurt am Main. Als er im August 1931 nach Bratislava zurückkehrte, bot sich ihm sofort die Möglichkeit, sein Wissen zu erweitern. Als leitenden Röntgenologen engagierte ihn das neue, nicht einmal zwei Monate funktionierende jüdische Krankenhaus in der Šulekova Straße.

10

Das im Jahre 1931 erbaute jüdische Krankenhaus in der Šulekova Straße. Quelle: Archiv der Stadt Bratislava

Er war sowohl beruflich als auch privat erfolgreich, denn er heiratete die radiodiagnostische Laborantin Viola Rosenberger, ließ in einem lukrativen Viertel die besagte Villa bauen und 1934 wurde sein Sohn Peter geboren. Daneben war er auf dem Gebiet der Radiologie besonders aktiv, die Ergebnisse seiner Forschung wurden in zeitgenössischen Fachzeitschriften veröffentlicht. Als überzeitig galten in erster Linie seine Arbeiten zur Strahlentherapie bei Hautkrebs. Er liebte seine – unsere – Stadt: in seiner Freizeit ging er zum Strand (zum „Lido“) baden oder er spazierte einfach entlang des Donauufers und des Janko-Kráľ-Parks. Ab und zu machte er einen Ausflug zum Eisenbrünnl (Železná studnička) und verband ihn mit dem Bootfahren auf den dortigen Teichen. Außerdem las er gerne Bücher über die Geschichte von Pressburg und die Medizin. Seine Zeit verbrachte er auch bei dem Chirurgen Gustav Szamák (bei dem er nach dem Studium arbeitete), der eine Villa etwas weiter unten in der Partizánska-Straße hatte. Die friedliche Epoche seines Lebens endete auch für ihn mit der Entstehung des Slowakischen Staates und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Aufgrund diskriminierender Gesetze musste er 1942 seinen Arbeitsplatz aufgeben, konnte aber eine Anstellung im Onkologischen Institut des St. Elisabeth-Krankenhauses finden.

08

Titelblatt des Artikels von E. Lesný über die Strahlentherapie von Hautkrebs in der Zeitschrift „Therapia“.

Ab September 1944 durfte er auch dort nicht mehr arbeiten und musste sich verstecken. Nach dem Ende des Krieges begann eine neue Phase seines Lebens. Es gelang ihm, seine Villa zurückzugewinnen, im Jahre 1946 wurde sein jüngerer Sohn Pavol geboren und er arbeitete als Leiter der Röntgenabteilung an der Orthopädischen Klinik der Medizinischen Fakultät der Comenius Universität, die ihren Sitz in der Hlboká Straße hatte. Dort erlangte er große Anerkennung durch seine Mitarbeiter, indem er sich aktiv an den Forschungsarbeiten beteiligte und auch röntgenologische Untersuchungen für Patienten der II. Internen und Urologischen Klinik sicherstellte. Diese befand sich  neben der Orthopädischen Klinik in demselben Gebäude. Seit 1955 arbeitete er 18 Jahre lang als Chefarzt der Zentralen Röntgenabteilung des Krankenhauses mit Poliklinik in der Bezručová Straße 5. Doch selbst in dieser Zeit seines Lebens ließ ihm das unbarmherzige Schicksal keine Ruhe. Er kümmerte sich viele Jahre lang um seinen erstgeborenen Sohn Peter, der an einem schweren Herzfehler gelitten hatte. Weder die Kuraufenthalte in Sliač noch die spezielle kardiologische Versorgung halfen ihm, 1960 wurde er auf dem Friedhof Slávičie údolie begraben. Trotz all dieser Lebensprüfungen war er für seine Leutseligkeit, seine Zuvorkommenheit bekannt. Sein Kollege Dr. Vladimír Makovický erinnert sich zum Beispiel folgendermaßen an ihn: „Wir bewunderten seine Zähigkeit, Bescheidenheit, seinen Optimismus, seine Gewissenhaftigkeit, Sorge um die Umwelt und vor allem seine herzliche menschliche Beziehung zu seiner Familie, zu seinen Patienten und Mitarbeitern, wodurch er sie dauerhaft gewinnen konnte.“

05004

Eugen Lesný mit seiner Frau Viola auf der Terrasse der Kinderkonditorei am Hviezdoslav-Platz. Quelle: Archiv von Pavol Lesný 

Eugen Lesný starb am 13. Oktober 1973 an einer onkologischen Erkrankung. Er liegt im Sektor 7 des Friedhofs Slávičie údolie neben seinem Sohn und seiner Frau. In der Villa in der Mošovský-Straße lebt bis heute die Familie seines jüngeren Sohnes. Pavol trat sowohl beruflich als auch menschlich in die Fußstapfen seines Vaters.

Ján Vyhnánek

Übersetzung: Melinda Rácz

Unsere Unterstützer

Don`t copy text!