Die Schiffer von Bratislava: Ihre Lebensleidenschaft ist die Donau

GENIUS LOCI
24. Oktober 2024

Jules Verne schrieb einst poetisch über Pressburg, dass der Mensch hier nicht überrascht wäre, wenn es um ihn herum ein Meer gäbe, das ihn mit seinen Wellen umspült, statt des ruhigen Wassers der Donau. Er nahm das heutige Bratislava als Seehafen wahr. Die alte Donau war damals ein ungezähmter Fluss, dessen Wasser sich in vielen Armen weit über das Land ergoss. Vielleicht haben wir gerade deswegen auch heute noch gut ausgebildete Schiffer, für die die Flusswellen die Meereswellen ersetzen. Ihre Schiffe tragen die Gewässer der Donau weit in fremde Länder.

Der Dampfer Carolina, der auf der Route Wien – Budapest durch Pressburg fuhr. Zum ersten Mal legte er die Strecke zwischen Wien und Pressburg am 4. September 1830 zurück. Die Fahrt dauerte insgesamt drei Stunden. (Quelle:  Archiv des Bürgervereins Pressburger Kipferl)

Die Donau ist ein großer Strom, der Europa seit langem geografisch verbindet. In politischer Hinsicht teilte er sie manchmal, das hing jedoch immer von bestimmten historischen Ereignissen ab. Nur auf unserem Gebiet bildete die Donau eine Grenze: sie war eine Straße, ein Tor sowie eine tödliche Bedrohung. Zur Aufgabe hatte sie, das Römische Reich vom „Territorium der Barbaren“ zu trennen. Sie half bei der Überwindung von Entfernungen gerade dort, wo es keine guten Wanderwege gab, öffnete den Weg vom Westen zu den ungarischen Gebieten und bedrohte die angrenzenden Festländer mit ihren Überschwemmungen. Die Donau ist ein Element, das die Menschen erst nach Jahrhunderten zähmen konnten. Für viele ist die Fahrt auf diesem Fluss eine Leidenschaft, der sie ihr ganzes Leben gewidmet haben. Dabei handelt es sich um Seeleute, die oft von klein auf die Donau befahren hatten und während ihrer anstrengenden Schifffahrten ähnliche Geschichten erlebt hatten wie ihre Kollegen auf den Seeschiffen.

Bootsmann Juraj Bohunský (Foto: Braňo Bibel)

Einer von ihnen ist der pensionierte Bootsmann Juraj Bohunský (1941), ehemaliger Sprecher der Gesellschaften Československá plavba dunajská (Tschechoslowakische Donauschifffahrt) und Slovenská plavba a prístavy (Slowakische Schifffahrten und Häfen), ehemaliger Redakteur einer Fachzeitschrift sowie Autor von mehreren Büchern mit Schifftematik. Er ist Co-Autor des faszinierenden Buches „Die Donauflotte: Die Geschichte des Schiffsparks seit 1922“ (2012). Er diente unter anderem auf dem Dampfschiff Bratislava, auf dem auch der berühmte Film „Ausflug auf der Donau“ aus dem Jahr 1962 gedreht wurde.

Das Dampfschiff namens Bratislava, das 1958 im Hafen von Budapest vor Anker lag. (Quelle: Fortepan)

Die traurige Geschichte des Dampfschiffes Bratislava

Herr Bohunský fuhr auf dem Dampfschiff Bratislava und arbeitete hier fünf Jahre lang. Dieses Passagierschiff mit Kajüten wurde 1958 in der ungarischen Werft in Óbuda (Stadtbezirk in Budapest) gebaut. Das Schiff wurde von der Gewerkshaft ROH als schwimmendes Hotel für ihre Mitglieder genutzt. Am häufigsten wurden wöchentliche Kreuzfahrten für 220 Passagiere auf der Strecke Bratislava – Budapest – Bratislava unternommen. Gerade diese Kreuzfahrten wurden auch zum Thema der Komödie „Ausflug auf der Donau“ vom Regisseur Ján Lacko, in der unter anderem die damals noch jungen Komiker Milan Lasica a Július Satinský mitspielten.

Milan Lasica (in der Mitte) und Július Satinský  (links) an Bord des Schiffes Bratislava im Film „Ausflug auf der Donau). Satinský wirkt in seinem Matrosen-T-Shirt sehr überzeugend, er sieht aus, als wäre er in seinem Element, schließlich hat er sein ganzes Leben lang in einer Straße in Bratislava gewohnt, die nach der Donau benannt wurde. (Reprofoto: Autor)

Der erste Kapitän des Schiffes Bratislava war Viktor Kubica, der Dampfer fuhr bis 1972 auf der Donau. Das Schiff ging später in den Besitz der Tourismusgesellschaft Javorina über. Er benutzte es als Botel Javorina, das dauerhaft in der Nähe des Hotels Devín vor Anker lag.

Das um 1970 in seinem Heimathafen ankernde Schiff Bratislava. (Quelle: Archiv des Autors)

Das Schicksal des Schiffes Bratislava wurde jedoch besiegelt, als ein tragisches Feuer mitten in einer Mainacht im Jahr 1975  in der Kombüse des Schiffes ausbrach und sieben Menschen tötete. Das Schiffswrack wurde zum Donauarm von Ovsište in der Nähe der Hafenbrücke geschleppt, wo es später definitiv verwahrloste und schließlich auseinanderfiel.

Die verfallenen Überreste des Dampfschiffes Bratislava auf dem ausgetrockneten Donauarm bei Ovsište. Inzwischen hat sich vieles verändert, vom alten Wrack ist fast nichts mehr übriggeblieben. (Quelle: Internet)

Der Kapitän ist die „Mutter“ des Schiffes

Eine traurige Tatsache der heutigen Zeit ist, dass die Schifffahrt als Handwerk in unserem Land verschwindet. Eine Seemann- oder Bootsschule gibt es nicht mehr, denn die einzige, die es in unserem Land gab, wurde längst aufgelöst. Ein Schiffer muss alles über das Schiff wissen und jeden einzelnen Teil davon kennen. Juraj Bohunský hat es treffend formuliert: „Der Kapitän ist die Mutter des Schiffes.“

1961: Dampfschiff auf der Donau mit heruntergeklapptem Schornstein, von Széchenyis Kettenbrücke aus gesehen. (Quelle: Fortepan)

Das wichtigste Dokument auf einem Schiff ist das sog. Logbuch. Alles, was geschieht, jedes außergewöhnliche Ereignis, sowie jede einzelne Person, die an oder von Bord des Schiffes gegangen ist, muss in diesem Tagebuch notiert werden. Das Logbuch wird von einem Kadetten (Matrosen) geführt. Zuerst macht er sich Scheinnotizen, die er dann ganz sorgfältig in das Tagebuch des Schiffes umschreibt. Jede Seite ist von dem Schiffskapitän zu unterzeichnen. Das Logbuch sei also etwas wie ein „Gesetz Gottes“, das immer gelte, resümiert der pensionierte Kapitän Juraj Bohunský.

Eine Postkarte mit dem Motiv eines Dampfschiffes auf der Donau des berühmten Malers und Grafikers Karl Frech 1883 -1945). (Quelle: Archiv des Autors)

Kindheit auf dem Schiff Bratislava

Ladislav Kálmán (1957), ein Mitglied des Bürgervereins Pressburger Kipferl, ist kein Schiffer, sondern ein Zeuge, der als kleiner Bursche auf dem Dampfschiff Bratislava fuhr. Sein Vater arbeitete fünf Jahre lang als Betreiber auf diesem Donaudampfer. Er war dort von 1958 bis 1963 beschäftigt, und sein kleiner Sohn Laco besuchte ihn gerne auf dem Schiff. Als Junge bewegte er sich auf dem Deck sowie im Unterdeck, und spielte Kinderspiele. Er erinnert sich gut an den Maschinenraum mit zwei Kolben. Auf dem Schiff arbeiteten zwei Besatzungen. Eine Mannschaft kümmerte sich um die Urlauber der ROH-Gewerkschaft, die andere Besatzung war von der Donauschifffahrtsgesellschaft, die die Schifffahrt selbst sicherstellte.

Die Seitenbrücke des Dampfers Bratislava. In der Mitte Kapitän Lipták, links Herr Osuský, rechts Herr Kálmán. (Quelle: Archiv von Ladislav Kálmán)

Dampfschiff namens Bratislava. Das Seitendeck bei der Küche und das Personal. (Quelle: Archiv von Ladislav Kálmán)

Das älteste Schiff der Slowakei

Im Jahr 1937 wurde auf den Werften in Komárno der Tanker Štúr gebaut. Ein Schlepper, ein Motorschiff, das mit genieteter Technologie gebaut wurde, ähnlich wie die legendäre Titanic. Am 11. September 1937 fand die Taufe dieses Frachtschiffes sowie seiner Schwesterschiffe Moyzes und Vajanský statt. An der Feier nahm sogar der Ministerpräsident der ersten tschechoslowakischen Regierung, Dr. Milan Hodža persönlich teil. Das Schiff erfüllte seinen Zweck und es durfte auf ein buntes Leben zurückblicken. Davon wollen wir zukünftig noch mehr erzählen. Der Frachter wurde später in Šturec umbenannt und ist heute das älteste noch erhaltene Schiff auf dem Gebiet der heutigen Slowakei. Der Wiederaufbau ist in vollem Gange und wir hoffen darauf, dass er eines Tages Teil des geplanten Schiffsmuseums werden wird. Im Jahr 1981 fuhr auch Ing. Pavel Kara auf diesem Schiff. Er erzählte uns ebenfalls von seiner Leidenschaft für Schiffe.

Der Remorqueur Šturec, der mittlerweile ein nationales Kulturdenkmal geworden ist, im Frachthafen von Bratislava vor der Rekonstruktion. (Foto: Tomáš Bartovič, Commons.Wikimedia.org)

Ein Schiffer aus dem alten Petržalka

Pavel Kara (1964) ist ein Bewohner des alten Petržalka, eines Stadtteils von Bratislava. Er wohnt in der Vlastenecká-Straße. In die Welt der Schifffahrten wurde er von seinem Grundschullehrer eingeführt. So wurde er mit fünfzehn Jahren Schiffer bei der Donauschifffahrtsgesellschaft (Dunajplavba) und so fuhr er schon im so jungen Alter auf der Donau.

Ingenieur Kara blättert im Buch von Herrn Bohunský (Foto: Braňo Bibel)

Schließlich „ankerte“ Herr Kara jedoch an Land und reparierte zehn Jahre lang Schiffe. Darüber hinaus erwarb er einen Universitätsabschluss und zwar an der Fakultät für Maschinenbau der Slowakischen Technischen Universität mit dem Schwerpunkt Schiffbau. Er gründete eine private Firma und seitdem repariert er darin unter anderem Schiffe und Boote, die bis heute seine lebenslange Leidenschaft sind. Er beteiligt sich auch an der Rekonstuktion des Schiffes Šturec, diese Tätigkeit wurde für ihn eine Herzensangelegenheit. Er nennt es einfach: „Schicksal“.

Bei einer interessanten Debatte über Schiffe mit Herrn Bohunský, Herrn Kálmán und Herrn Karo kam auch die Strömung des Kies durch den Fluss in den Vordergrund. Bevor die Staudämme der Donau gebaut wurden, brachte der Fluss jährlich 600 000 Kubikmeter Kies auf die slowakischen Gebiete. Das natürliche Regime des Flusses ist heute jedoch leider gestört. Trotzdem hat die Donau dank des Kies immer noch ihren typischen Klang, es genügt, den Kopf unter die Flussoberfläche zu stecken, um das „Rauschen der Donau“ zu hören. Es handelt sich hier um das charakteristische Geräusch des Flusses, wenn Tausende von runden Kieselsteinen durch seinen Grund rollen.

 

Das Foto zeigt einen 105 Kilogramm schweren und 215 Zentimeter langen Hausen, der 1962 von ungarischen Fischern aus der Donau gefangen wurde. (Quelle: Fortepan)

Der Riese im Fluss

Eine weitere Donau-Legende erzählt von einem Fisch, der einst über die Donau herrschen sollte. Der europäische Hausen (auch Beluga-Stör genannt) ist die größte Fischart aus der Familie der Störe. Diese Fischart wird vor allem wegen ihres wertvollen Fleisches gefangen. Die größten Hausen auf dem slowakischen Abschnitt der Donau wogen bis zu einer Tonne und waren mehr als 6 Meter groß.

Matthias Bel schrieb in seinem Werk Notitia Hungariae über die Hausen folgendermaßen: „Warum kommen sie nur noch so selten zu uns? … Nun ist es so, dass diese Fischart gefangen wird, bevor sie flussaufwärts bis nach Pressburg vordringen kann. Immer wieder gibt es nämlich Fischereien, die auf Hausen lauern. … Was dort aus den Netzen entweichen kann, gelangt entweder in den Fluss Waag, um dort bei Gutta gefangen zu werden, oder taucht im Bett der Kleinen Donau auf, wo es wieder neue Ränke gibt, die, wenn irgendwo, dann besonders in der Nähe von Vojka, Fische daran verhindern, zu uns vorzudringen, damit sie sich vermehren können.“

Heute hindern die Hausen an ihrer Rückkehr in unsere Wässer die Wasserwerke Železné vráta und Gabčíkovo. Auf der slowakischen Strecke der Donau gilt diese Fischart als ausgestorben, da sie zuletzt 1957 in unserem Gebiet (beim Dorf Sap) beobachtet wurde.

Die zugefrorene Donau, fotografiert von der Petržalka-Seite des Flusses vom Elysium aus. Die Donau fror zum letzten Mal in Bratislava im Jahr 1965 zu. (Quelle: Archiv des Autors)

Der Dampfer Sázava, der im Winter 1927 in einem eisigen Griff feststeckte. Das Schiff konnte schließlich doch befreit werden und wurde ohne Schäden in den Hafen von Bratislava transportiert. (Quelle: Archiv von Juraj Bohunský)

Ein Begriff, den Sie wahrscheinlich nicht gekannt haben

Haben Sie jemals vom „Wedeln“ in der Seemannsprache gehört? Wahrscheinlich nicht. Das Wort kommt vom deutschen „wedeln“ (wackeln) und ist nur alten Seeleuten bekannt. Das Wedeln wurde in der Bootsschule gelehrt. Es handelt sich hier um eine Technik, bei der der Bootsmann/Bootsführer selbst in der Lage war, ein Boot mit einem Ruder zu rudern. Diese Art des Ruderns gilt mittlerweile als „ausgestorbene“ Art des gewöhnlichen Ruderns, bei der das Rudern im Stehen auf dem Heck des Bootes mit einer schaukelnden Bewegung des Ruders ausgeführt wird. Heute wird diese Technik in der Schifffahrt nicht mehr verwendet, da neulich ein Außenbordmotor zum Bewegen der Boote verwendet wird.

Nostalgische Zeiten, als Dampfschiffe über die Donau herrschten. Jahr 1919: Ein Schiff namens Wien unter Theben, auf dem damals noch das Millenniumsdenkmal stand. (Quelle: Fortepan)

Schlusswort

Wir verabschiedeten uns symbolisch von Herrn Bohunský, Herrn Kálmán und Herrn Kara an der Donau, wo unser Fotograf Braňo Bibel ein Gruppenfoto als Andenken machte. Wir glauben ganz fest daran, dass dies nicht unser letztes Treffen war. Schon jetzt freue ich mich auf den Besuch des Schiffes Šturec, über das wir in der nahen Zukunft berichten werden.

Ahoy!

Von links nach rechts: Ladislav Kálmán, Juraj Bohunský a Pavel Kara am Donauufer in Bratislava. (Foto: Braňo Bibel)

Peter Janoviček

Fotos: Braňo Bibel

Übersetzung: Melinda Rácz

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