Friderica Derra de Moroda: Von Pressburg nach Salzburg auf den Spuren der weltberühmten Tänzerin
Vor ein paar Jahren war der Autor dieser Zeilen auf der Suche nach Verbindungen zwischen Bratislava (Pressburg) und Salzburg in Österreich (in der slowakischen Sprache archaisch auch Soľnohrad genannt). Diese Forschung hat zur Erstellung eines historisch-essayistischen Buches beigetragen, das auf Slowakisch den Titel „Z Prešporku do Soľnohradu“ trägt (Slovart, 2018). Auf Deutsch erschien das Buch mit dem Titel „Von Pressburg nach Salzburg“.
Die Autoren dieses Buches – ein Onkel und sein Neffe – sind beide in Bratislava geboren. Robert Hofrichter, der Onkel, fand jedoch 1981 gerade in Salzburg eine neue Heimat. Sein Neffe Peter Janoviček verbrachte dort später einige sehr glückliche Monate seines Lebens.
Die Pressburger Wurzeln beider Autoren sind mit einer alten Villa verbunden, die unauffällig in einem hügeligen Gebiet der Stadt versteckt ist, in dem Gebiet, das einst Heiligenbrunn geheißen hatte.
Erst nach der Fertigstellung ihres gemeinsamen Buches entdeckte der jüngere der beiden Autoren einen neuen spannenden historischen Zusammenhang zwischen Bratislava und seinem geliebten Salzburg. Das alles ist gerade dieser alten Villa zu verdanken, über deren Geschichte bis dahin kaum etwas bekannt war.
Er fand heraus, dass das Haus 1899 erbaut wurde und seine erste Besitzerin, die es vermutlich errichten ließ, eine gewisse Olga Derra de Moroda war. Diese hatte eine Tochter „Fritzi“, die ihre ersten Schritte als Baby wahrscheinlich in der Familienvilla des Onkels und seines Neffen gemacht hatte. Dieses Mädchen wuchs später zu der weltberühmten Tänzerin und Künstlerin Friderica Derra de Moroda (1897-1978) heran. Was die Überraschungen angeht, wären wir mit dieser Entdeckung noch längst nicht am Ende.
Friderica verbrachte einen großen Teil ihres Lebens im österreichischen Salzburg, und schließlich beendete sie ihre irdische Pilgerreise ebenfalls in dieser Stadt an der Salzach.
Anlässlich des 125. Geburtstages dieser bedeutenden Tänzerin, Tanzwissenschaftlerin und gebürtigen Pressburgerin wollen wir nun ihren Lebensweg zwischen Pressburg und Salzburg Revue passieren lassen.
Friderica Derra de Moroda auf einer Londoner Fotografie aus dem Jahre 1913. (Quelle: Bassano Ltd, NPG x101452, © National Portrait Gallery, London, www.npg.org.uk)
Pressburger Wurzeln
Am 23. August 1886 läuteten die Hochzeitsglocken über Pressburg. In der Kathedrale des Heiligen Martin heiratete die junge ungarische Kunsthistorikerin, Olga von Némethy (1867-1945). Sie stammte aus einem alten ungarischen Adelsgeschlecht, dessen Mitglieder an der ungarischen Revolution von 1848-1849 beteiligt waren. Olga war eine gebürtige Wienerin, sie nahm in Pressburg einen gebürtigen Budapester mit exotisch klingendem Namen zum Mann. Simeon Julius Derra de Moroda (1861-1902) war griechischer Abstammung. Er war Schriftsteller, Journalist, begeisterter Verbreiter der deutschen Sprache und Literatur in Ungarn, außerdem war er auch Mitarbeiter der Pressburger Zeitung.
Die frisch Vermählten bekamen bald ihre erste Tochter Wilhelmine (1887 – 1950), die den Kosenamen Minka erhielt. Ihre zweite Tochter Irene (1890-1894) starb noch als kleines Kind. Nach weiteren drei Jahren – am 2. Juni 1897 – kam dann die Heldin unserer Geschichte, Friderica, – in der Familie nur „Fritzi“ genannt – zur Welt und wurde in der Pfarrkirche des Heiligen Martin getauft.
Die junge Familie Derra wohnte zunächst in der Lodná Straße 7 (Landler Straße). Das Gebäude existiert nicht mehr, an seiner Stelle steht jetzt das Hotel Devín. Später gaben sie Palackého 8 (Jägerzeile) als ihre Adresse an, danach besaßen sie ein Haus in der Grösslinggasse 3, bekannt als „Haus Derra“, in dem sie nicht nur wohnten, sondern gleichzeitig auch Wohnungen vermieteten. Die Grösslinggasse begann damals bereits am Maria-Theresien-Denkmal, das Haus stand unmittelbar neben dem Theresianischen Getreidespeicher und wurde nach 1910 abgerissen. An seiner Stelle steht heute die Redoute. Die Familie verfügte jedoch auch über weitere Grundstücke und Immobilien in Pressburg.
Die Villa der Familie des Autors dieses Artikels, deren erste Besitzerin die Mutter von Friderica, Olga Derra de Moroda war. Zur Zeit seiner Errichtung lag das Haus außerhalb der Stadt – inmitten der Weinberge – und diente der Familie möglicherweise als Sommerresidenz. Es ist anzunehmen, dass es sich in diesem Fall um das einzige noch erhaltene Anwesen in Bratislava handelt, das wir unmittelbar mit der Familie der Tänzerin in Verbindung bringen können. Das Foto stammt aus der Zeit zwischen den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts. (Foto: Alfréd Altdorffer)
Die guten Zeiten sind vorbei
Fritzi besuchte in Pressburg eine Mädchenschule der Schwestern von Notre Dame, die über eine reiche Tanzunterrichtstradition verfügte. Nach den Recherchen von Miklós Vojtek trat Fritzi hier auch öffentlich auf, und zwar „bei einer Feier anlässlich der Wiederwahl der Mutter Oberin, bei der sie ein Gedicht vorgetragen hatte.“
Die Familie Derra war eine wohlhabende Familie, den Schwestern wurde die Liebe zur Kunst vermittelt, wobei ihre künstlerisch veranlagten Eltern für die beiden Mädchen sicherlich große Vorbilder waren. Ihr glückliches Leben wurde jedoch durch den Tod des Vaters auf tragische Weise getrübt.
Simeon Julius Derra de Moroda starb am 11. Oktober 1902 im Alter von 41 Jahren nach langer und schwerer Krankheit an den Folgen eines angeborenen Herzfehlers. Sein Begräbnis fand auf dem Friedhof am Ziegentor (Gaistor-Friedhof) statt, seine Kollegen von der Pressburger Zeitung widmeten ihrem Kollegen, der unter dem Namen Julius Derra publizierte, einen ausführlichen Nekrolog. An seiner Beerdigung nahmen alle Honoratioren der Stadt teil, einschließlich des Pressburger Bürgermeisters Tivadar Brolly, der Mitglieder des Vereins Schlaraffia Posonium, des Stadtarchivars Batka, des Bibliothekars Emil Kumlik, des Architekten Žigmund Melczer und des bekannten Historikers Prof. Tivadar Ortvay. Nach dem Tod ihres Mannes lag die Erziehung der beiden Töchter auf den Schultern seiner Frau Olga. Die Familie verließ Pressburg und zog nach Wien. Die letzte Spur der Familie Derra in Pressburg findet sich kurz nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, als Olga Derra de Moroda die Villa verkaufte, die heute im Besitz der Familie des Autors von diesem Artikel ist.
Das Leben einer Tänzerin
Olgas ältere Tochter Wilhelmine (Minka) studierte in Wien Gesang und in der Saison 1907/1908 engagierte man sie am Wiener Theater. Sie wurde eine erfolgreiche Sängerin und Schauspielerin, die später weitere Angebote für Gastauftritte erhielt. In der Saison 1908/1909 zog die Familie nach München, wo Minka ebenfalls ein Engagement angeboten wurde. Gerade in München begann die jüngere Fritzi von Derra, wie sie damals genannt wurde, ihre ordentliche Ballettausbildung.
Mit vierzehn Jahren debütierte sie 1912 in Wien und zwar als „Silhouette-Tänzerin“ in der Wiener Secession. Sie gewann sowohl die Gunst des Publikums als auch die Gunst der Kritiker. Die Familie zog dann in die überwiegend deutschsprachige Stadt Riga, wo sie im Stadttheater auftrat. Es folgten noch danach St. Peterburg, Berlin und 1913 London.
Die hiesige Presse schrieb begeistert über die junge Tänzerin und bezeichnete sie als Mitglied einer der ältesten Familien des ungarischen Adels, wobei sie abwechselnd für Österreicherin und Ungarin gehalten wurde. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges drohte ihr als Bürgerin des feindlichen Österreich-Ungarns die Internierung, so dass sie die griechische Abstammung ihres Vaters ausnutzte und sich als Griechin ausgab. Nach und nach wurde sie eine erfolgreiche Journalistin und schrieb Beiträge für Fachzeitschriften, die sich mit dem Thema Tanz auseinandergesetzt hatten.
In ihre Heimatstadt kehrte sie zwar nicht zurück, aber sie besuchte immer wieder sehr gerne Salzburg, wo ihre Schwester Minka seit ihrer Heirat im Jahr 1914 lebte. Zum ersten Mal trat sie hier im Rahmen eines Solokonzerts im Großen Saal des Mozarteums auf.
Die Sommermonate des Jahres 1928 verbrachte Fritzi Derra de Moroda in Ungarn, wo sie sich der ungarischen Tanzfolklore widmete und dadurch ihre ungarischen Wurzeln kennen lernte, die sie ihrer Mutter Olga zu verdanken hatte.
Friderica Derra de Moroda als Primaballerina des Theaters Palladium in London, auf einem Foto aus der Zeitschrift Moderne Welt von 1926. (Quelle: Österreichische Nationalbibliothek, ANNO Historische Zeitungen und Zeitschriften, www.anno.onb.ac.at)
Tanzen für die Nazis
1936 erhielt Derra de Moroda die britische Staatsbürgerschaft. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erwischte sie jedoch in Salzburg. Nach London kehrte sie während des Krieges nicht mehr zurück. Im Jahr 1941 wurde ihr die Leitung des deutschen Tanzensembles Reichsballett angeboten, das im Rahmen der nationalsozialistischen Kulturorganisation „Kraft durch Freude“ fungierte.
Laut Miklós Vojtek bekam Derra de Moroda trotz der Proteste des Reichspropagandaministers Goebbels die Stelle im Ensemble und ihre Position nutzte sie, um mehrere Künstler vor dem Einsatz an der Front zu retten. Sie ließ sich von der Nazi-Ideologie nicht vereinnahmen, ihr Werk war apolitisch. 1944 wurde die Ballettkompanie aufgelöst und Derra de Moroda wurde als britische Staatsbürgerin von den Deutschen im Lager Liebenau am Bodensee interniert. Im letzten Jahr des Krieges starb ihre Mutter Olga.
In der Stadt an der Salzach
Nach der Befreiung 1945 ließ sich Friderica Derra de Moroda dauerhaft im österreichischen Salzburg nieder, wo sie 1950 am Fuße des Gaisbergs im Stadteil Parsch die Villa ihrer Schwester – die Villa Schmederer – erbte. Die Schwester lebte dort seit ihrer Heirat mit dem prominenten Geschäftsmann Ludwig Schmederer, nach dem die Villa benannt wurde.
Die Villa Schmederer im Salzburger Stadtteil Parsch, Kreuzbergpromenade 4.
Im Jahr 1887 kaufte Ludwig Schmederer (1846-1935), der aus München stammende Besitzer der Paulaner-Brauerei, dieses Grundstück. Anschließend ließ er eine prächtige Villa im Stil der Neorenaissance nach den Plänen des österreichischen Architekten Josef Wessicken (1837-1918) erbauen. Ludwig Schmederer, Ehrenbürger der Stadt Salzburg und Präsident des Salzburger Kunstvereins, heiratete die Sängerin Minka Derra de Moroda, Fredericas ältere Schwester. Minka erbte die Villa nach dem Tod ihres Mannes, 1950 vererbte sie sie testamentarisch an ihre Schwester Fritzi. Friderica Derra de Moroda gründete hier eine Ballettschule, die sie bis 1967 leitete. Die Villa am Fuße des Gaisbergs blieb ihr Zuhause bis zu ihrem Tode im Jahr 1978. (Foto: Peter Janoviček)
In der Villa Schmederer baute Friderica ihre Bibliothek mit Tanzliteratur weiter auf (ursprünglich hatte sie die Bibliothek in London gegründet, aber ein Teil davon wurde nach der deutschen Bombardierung der Stadt zerstört). Aus dieser erweiterten Bibliothek ging das fachbezogene Archiv namens Derra de Moroda Dance Archives hervor. Diese Dokumentensammlung wird derzeit von der Universität Salzburg verwaltet. Seit 1952 betrieb sie in ihrer Villa eine erfolgreiche Tanzschule. 1974 wurde sie von der Königin Elisabeth II. mit dem Orden des Britischen Imperiums ausgezeichnet.
Friderica kehrte nie mehr in ihre Heimatstadt zurück und starb am 19. Juni 1978 in Salzburg. Sie ruht auf dem Friedhof im Salzburger Stadtteil Aigen. In der Stadt wurde nach ihr 1982 auch eine Straße benannt. Die Derra-de-Moroda-Straße befindet sich im Stadtteil Parsch.
Bild links: Eine Tafel im Salzburger Stadtteil Parsch, die die Derra-de-Moroda-Straße kennzeichnet – samt einer Kurzbiographie der gebürtigen Pressburgerin.
Bild oben rechts: Das gemeinsame Familiengrab auf dem Salzburger Friedhof in Aigen, wo Friderica Derra de Moroda ihre letzte Ruhe gefunden hatte.
Unten sieht man ein Detail der Grabtafel mit dem Namen der Tänzerin. (Foto: Peter Janoviček)
Schlusswort
In ihrer Heimatstadt erinnert leider nichts mehr an Friderica Derra de Moroda. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels gab es im Internet keine Informationen in slowakischer Sprache. Deshalb hat der Autor dieser Zeilen einen Beitrag in der slowakischen Wikipedia verfasst, der nun für alle zugänglich ist, die sich für das Leben der legendären Tänzerin aus Pressburg interessieren. Eine bedeutende gedruckte Quelle für Informationen über das Leben der Tänzerin in slowakischer Sprache ist der von Miklós Vojtek geschriebene Artikel mit dem Titel „Friderica Derra de Moroda: die weltberühmte Tanzwissenschaftlerin aus Pressburg“, der in der Fachzeitschrift Tanec (Nr. 2/2017) erschienen ist und auf den sich auch der Autor dieser Zeilen gestützt hatte.
Vielleicht wäre es eine Überlegung wert, die Künstlerin zumindest mit einer kleinen Gedenktafel in ihrer Heimatstadt zu ehren. Es bleibt uns nur zu hoffen, dass sie in das allgemeine Bewusstsein unserer Öffentlichkeit gebracht werden kann, dorthin, wo sie zu Recht auch hingehört.
Peter Janoviček
Übersetzung: Melinda Rácz
Danksagung
Bei der Entstehung dieses Artikels waren dem Autor Dr. Štefan Holčík und Ivor Švihran behilflich, weitere Hilfe leisteten ihm dabei die aus dem Derra De Moroda Tanzarchiv in Salzburg recherchierten Informationen.