Der Donauraum und der gebildete Graf Luigi Ferdinando Marsigli

Historische Persönlichkeiten
8. August 2024

Der Autor dieser Zeilen, ein Biologe, ist in der alten Stadt Pressburg an der Donau geboren und aufgewachsen. Außerdem ist er Meereskundler, also jemand, der sich beruflich der Ozeanographie, Meeresbiologie und verwandten Disziplinen widmet. Was resultiert also aus dieser Kombination?

Dass er selbstverständlich ein begeisterter Fan des Grafen Luigi Ferdinando Marsigli sein muss. Die meisten Menschen werden sich nun aber fragen, wer um Gottes Willen das sei. Nun, dieser bedeutende Mann der europäischen Geschichte (der Comte stammte aus Bologna und lebte zwischen 1658 und 1730) war mit seinem 1725 erschienenem Opus „Histoire physique de la mer“ nicht nur Vater der Ozeanographie, sondern mit seinem nur ein Jahr später erschienen Werk „Danubius Pannonico-Mysicus: Observationibus geographicis, astronomicis, hydrographicis, historicis, physicis perlustratus” auch der Autor und Illustrator des ersten großen Werkes über den europäischen Fluss, die Donau.

Büste von Luigi Ferdinando Marsigli (1658 – 1730). Werk eines anonymen Künstlers, Museo di Palazzo Poggi. Quelle: Wikimedia Commons

Tja, nur wenige Menschen heute kennen noch den gebildeten und abenteuerlustigen Grafen, der u.a. Mathematik und Naturwissenschaften studierte, als Botaniker sein offizielles botanisches Autorenkürzel „L.Marsili“ verwendete, der uralte Irrtümer der Wissenschaft bekämpfte (etwa dass Pilze aus Fäulnis entstünden), als Militäringenieur und erfahrener Kartograph agierte, ebenso als Geologe und Astronom, der den Vesuv bestieg, an Bord von Schiffen das Mittelmeer befuhr und eine Weile in Konstantinopel lebte und dort bahnbrechende meereskundliche Entdeckungen machte, ein Fellow der Royal Society und Mitglied der Académie royale des sciences war. Viele belesene Ozeanographen wissen zwar, dass er als Pionier, ja als Vater ihrer Wissenschaft gilt und zwar gute 200 Jahre bevor diese überhaupt als Disziplin definiert wurde – aber sonst? Selbst gebildeten Menschen ist Marsigli heute kaum noch ein Begriff und die meisten haben von ihm wohl noch nie gehört.

Gut, Ozeanographie muss nicht jeden berühren und interessieren. Aber die Donau? Mit einer Gesamtlänge von 2.857 Kilometern ist sie (nach der Wolga) der zweitlängste Fluss in Europa und führt als mittlere Wasserführung immerhin 6.855 Kubikmeter pro Sekunde. Kein anderer Fluss auf der Erde durchfließt oder berührt zumindest zehn Länder, beginnend mit Deutschland, und dann auch schon gefolgt von den mitteleuropäischen Kern-Donauländern Österreich, Slowakei und Ungarn, um dann in Richtung Süden und Osten durch Kroatien, Serbien, Bulgarien, Rumänien, Republik Moldau und die Ukraine ins Schwarze Meer zu münden. Die Donau ist Europa und Europa ist ohne die Donau undenkbar. Sie entwässert nicht nur weite Teile Mittel- und Südosteuropas, sondern sie prägte die Geschichte und Kultur dieser riesigen Region. Wie ein Netz aus Blutgefäßen durchziehen die Zuflüsse der Donau große Teile des Kontinents, um sie zu einer großen räumlichen, kulturellen und historischen Einheit zu machen.

Die Donau muss uns also interessieren, und nicht nur wenn wir aus Pressburg (heute Bratislava, die Hauptstadt der Slowakei) stammen oder dort leben. Und da kommt wieder der Comte Marsigli ins Spiel. Obwohl er aus Bologna stammte und dem Haus Habsburg unter anderem in Konstantinopel diente, erkannte er die Bedeutung des europäischen Stromes schon vor Jahrhunderten und schrieb ein absolut einmaliges, großartig bebildertes Werk in mehreren Bänden über die Donau. Für den Donauraum und Pannonien, ist und bleibt er damit einer der ganz großen Namen der Geschichte. In diesem Beitrag wollen wir dem historischen Unrecht der mangelnden Bekanntheit Marsiglis entgegenwirken und den gebildeten Grafen und sein Werk „Danubius Pannonico-Mysicus“ einem breiteren Publikum vorstellen.

Der Graf aus Bologna und der pannonische Raum

Die Möglichkeit, sich in den Donauraum und Pannonien zu vertiefen erhielt Marsigli nach 1681, als er in den Türkenkriegen auf österreichischer Seite als Ingenieuer-Offizier und Kartograph diente. Sein Horizont war bereits weit genug, als er 1683 beim Bau von Feldbefestigungen bei Raab (ungarische Stadt Győr) schwer verletzt wurde und in türkische Gefangenschaft geriet. Aus dem Grafen wurde ein Sklave, der dem osmanischen Belagerungsheer vor Wien als Küchengehilfe und Kaffeekoch diente. In der Tiefe seiner Seele war und blieb Marsigli aber immer Forscher, und er nutzte jede Gelegenheit Informationen zu sammeln, zu beobachten und zu lernen. Die Osmanen schienen nicht besonders vorsichtig gewesen zu sein, denn auch ihr Heerwesen wurde zum Studienobjekt des Comte. Nach neun Monaten Gefangenschaft wurde er freigekauft und nutzte seine Erfahrungen fortan für die Befestigung mehrerer westungarischer Städte. Da er sich als Soldat ebenso hervortat, wie als Gelehrter, schritt auch seine militärische Karriere voran. 1685 finden wie ihn beim Feldzug auf Gran (ungarische Stadt Esztergom an der Donau), später auch bei der Belagerung von Ofen (ungarische Hauptstadt Buda). Hier verschaffte er sich als Gelehrter einen privaten Vorsprung und erbeutete wertvolle Handschriften, die später Teil seiner Bibliothek wurden. Und so ging es mit seiner Laufbahn weiter, und immer wieder lagen die Stationen dieser Karriere am großen Strom Europas, der Donau. So auch 1688 bei Belgrad, dem Tor zum Balkan“, wo die Save in die Donau mündet. Er wurde Oberst, kommandierte Regimente, wurde kaiserlicher Bevollmächtigter für die Grenzziehung zwischen Österreich, Venedig und dem Osmanischen Reich, später Generalwachtmeister. Doch 1703 beschuldigte man ihn des Landesverrats (eigentlich wollte er nur Menschenleben schonen), wurde er unehrenhaft aus der Armee entlassen – und das war gut für die Nachwelt und den Fortschritt der Wissenschaft. Denn in den darauf folgenden Jahren widmete er sich nur noch der Forschung und dem Schreiben. Die Gründung der Academia delle Scienze dell’Istituto di Bologna ging auch auf sein Konto. Marsigli starb 1730 im Alter von 72 Jahren in Bologna.

Vater der Ozeanographie – einfaches Experiment, große Erkenntnisse

1681 publizierte Marsigli in Rom seine Beobachtungen über die Strömungsverhältnisse im Bosporus: Osservazioni intorno al Bosforo Tracio. Mithilfe eines in die Tiefe hinabgelassenen Seils mit einem Strömungsmesser bewies er die Existenz einer Tiefenströmung aus dem Mittelmeer ins Schwarze Meer, die den Fischern vor Ort damals schon bekannt war. Marsigli ging noch einen Schritt weiter und suchte nach einer allgemeinen Erklärung für dieses Phänomen. Durch ein Experiment mit zwei Becken, die durch zwei übereinander liegende Öffnungen verbunden waren, ermittelte er als Ursache der Strömung Dichteunterschiede zwischen zwei Wasserkörpern unterschiedlichen Salzgehalts. Das weniger dichte, leichtere Wasser floss durch die obere Öffnung in das eine Gefäß, das dichtere und damit schwerere Wasser durch die untere Öffnung in die entgegengesetzte Richtung. So erkannte Marsigli schon vor mehr als 300 Jahren die Ursachen dessen, was die moderne Ozeanographie thermohaline Konvektion nennt.

Danubius – 288 Kupferstiche über den Fluss und den Donauraum

Nun aber endlich zu unserem wichtigsten Thema, dem Megawerk Marsiglis über die Donau, „Danubius Pannonico-Mysicus“. Diese sechsbändige, mit 288 Kupferstichen illustrierte Monographie über den Donauraum, seine Geschichte und Geographie, erschien 1726, veröffentlicht in Amsterdam und Den Haag. Wir müssen gar nicht viel über die Qualität und Schönheit der Karten und Stiche sagen – Leserinnen und Leser können eine kleine Auswahl hier im Beitrag bestaunen.

Allein der Fischfauna der Donau ist ein Band (Vol. 4) gewidmet, ebenso der Vogelwelt, ein bahnbrechendes Werk der Ornithologie-Geschichte. Die anderen Bänder befassen sich mit der gesamten Naturgeschichte, der Geographie, der Hydrographie, der Geschichte (u.a. der römischen), der Kartographie, Mineralogie und vielen weiteren Wissensgebieten.

Es ist spannend (und traurig zugleich) die Karten von vertrauten Gegenden mit dem Bild der Gegenwart zu vergleichen. Die Donau, ein Strom mit unendlichen Auwäldern, der Amazonas Europas, ist heute größtenteils nur noch ein Kanal, der sowohl seine Schönheit als auch seine Biodiversität eingebüßt hat. Der Flussabschnitt zwischen Wien und Pressburg war ein unüberschaubares Wirrwarr an Neben- und Altarmen, wie die alten Karten zeigen. Eine Ahnung davon blieb zumindest im Nationalpark bei Hainburg erhalten.

Das Werk ist gerade für die noch junge Slowakei von besonderem Interesse, weil in „Danubius“ eine der ältesten umfassenden Beschreibungen des Landes geschildert wurden, das als „Oberungarn“ mehr als 1.000 Jahre Teil des ungarischen Königreichs war, 1919 Teil der Tschechoslowakei wurde und erst 1992 seine volle Unabhängigkeit erlangte.

Lassen Sie sich durch die faszinierenden Kupferstiche in eine verflossene Welt entführen, deren Schönheit wir in der Moderne nur noch erahnen können!

Titel der einzelnen Bände des Werks

Volume 1: In tres partes digestus geographicam, astronomicam, hydrographicam

Volume 2: De antiquitatibus Romanorum ad ripas Danubii

Volume 3: De mineralibus circa Danubium effossis

Volume 4: De piscibus in aquis Danubii viventibus

Volume 5: De avibus circa aquas Danubii vagantibus, et ipsarum nidis

Volume 6: De fontibus Danubii. Observationes anatomicae. De Aquis Danubii et Tibisci. Catalogus plantarum. Observationes habitae cum barometris et thermometris. De Insectis

Reprint des Originals
Danubius Pannonico-Mysicus. Observationibus geographicis, astronomicis, hydrographicis, historicis, physicis perlustratus. Vízügyi Múzeum, Budapest 2004, ISBN 963-217-033-4 (Reprint der Ausgabe Den Haag 1726)

 

Auch in diesem Werk finden Sie ergänzende Informationen über Comte Marsigli:  HOFRICHTER R. (Hrsg.), 2020: Das Mittelmeer – Geschichte und Zukunft eines ökologisch sensiblen Raums.
Springer Spektrum, Heidelberg, 1260 S. Komplettes Inhaltsverzeichnis

 

Text und Fotos: Dr. Robert Hofrichter

Lektorat: Christoph Volker

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