Erinnerungen an Lanfranconis Villa
Die einzigartige Familienvilla in Preßburg, die wie ein Jugendstil – Schloss wirkte, schmückte in den Jahren 1890-1986 das linke Ufer des Wödritz – Baches (Vydrica). Im Jahre 1880 hat einer der führenden Experten seiner Zeit auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft, der italienische Bauingenieur Enea Grazioso Lanfranconi (* 1850 Pelio – † 1895 Preßburg), das weitreichende Anwesen gekauft. Im Laufe von zehn Jahren hatte er an der Stelle der ursprünglich ersten Mühle im unteren Mülltal eine luxuriöse Villa gebaut.
Historische Ansicht der Villa Lanfranconi im Botanischen Garten, nach den 1920 aufgenommen. Foto: Archiv des Slowakischen Denkmalamtes, N 15410
Als Liebhaber der Geschichte bewahrte er den gewölbten Korridor im Erdgeschoss der ursprünglichen Mühle und platzierte über dem Haupteingang der Villa ein historisches Artefakt, ein Portal mit der Jahreszahl 1766 und mit den Initialen BB.
Portal über dem Eingang zur Villa (Datierung: 1766) und den Initialen BB. Foto: die Autorin
Es ist fast unmöglich nach dem Kontext zu suchen, die dieses Gebiet aus historischer Sicht treffender charakterisieren würden. Wie die Historikerin B. Egyházy-Jurovská in ihrem Werk feststellt (B. Egyházy-Jurovská – Z. Furkaš, Technische Denkmäler im unteren Mlynská dolina in Bratislava, Tagungsband SNM Archeologie 4, 153-168, 1994), es war unmöglich, an diesem Ort archäologische Forschungen durchzuführen, da das Gebäude bis zu dessen Untergang zum Botanischen Garten der Comenius Universität (CU) gehörte. Auf andere Daten stoßen wir erst zur Beginn des 20. Jahrhunderts. Schon vor Ausbruch des Ersten und Zweiten Weltkriegs wurde an den Grundstücken der Familie Lanfranconi die Bauplanung der theoretischen Institute und Kliniken der Medizinischen Fakultät der CU überlegt. Für den Bau wurden 35 Millionen Kronen veranschlagt, doch alles blieb nur auf dem Papier. Bis zum Ende von 1925 wurde in der Villa Lanfranconi eine Außenstelle der Klinik für Geburtshilfe und Gynäkologie mit 30 Betten errichtet. (Historia Medicinae Slovaca VI., Endemien, Epidemien und Pandemien in der Geschichte, S. 229, 2021; Fünfzig Jahre Comenius-Universität, S. 111). , 1969).
Die Zweigstelle des Instituts für Geburtshilfe und Frauenkrankheiten in Lanfranconis Villa. Foto: Archiv des Denkmalamtes der Slowakischen Republik, N 15412
Mit Genehmigung des Dekrets vom Ministeriums für Bildung und Wissenschafts vom 2. Januar 1942 wurde auf einem Teil des Lanfranconi-Geländes der Botanische Garten der Slowakischen Universität angelegt. Der Durchgang der Front verlangsamte jedoch die ersten Bauarbeiten erheblich. Nach dem Krieg begannen die Bauarbeiten erst nach dem Jahre 1945. Es wurden Gewächshäuser gebaut, ein Bewässerungssystem wurde im gesamten Garten installiert und fast 3.000 Pflanzenarten gepflanzt, sowohl aus dem Ausland als auch aus eigenem Pflanzgut. Am Bau beteiligten sich Angestellte, Studenten und Teilzeitkräfte (z. B. Sträflinge). Die Lanfranconis Villa (Schloss) wurde renoviert und zum Sitz der Leitung des Botanischen Gartens umgebaut. Es wurden Steingärten gegründet, Gewächshäuser und weitläufige Brutstätten angelegt. Der sogenannte Mičurín-Garten wurde Teil des Botanischen Gartens, wo auf einer Fläche von 11 ha eine Sammlung von Obstbäumen und Weinreben konzentriert wurde, die der Zucht und Forschung dienten. Mit einer Menge von 140 Sorten handelte es sich damals um die größte Rebensammlung in der Tschechoslowakei (A. Mojzešová, Botanischer Garten und seine fünfzigjährige Geschichte, Naša univerzita, S. 4-5, 1992).
In der renovierten Lanfranconi-Villa (seine Bewohner nannten sie Schloss) befanden sich zur Zeit, als sie bereits zum Botanischen Garten der CU gehörte, Büros und Wohnungen für Angestellte. Im Erdgeschoss befand sich links eine Einzimmerwohnung, rechts war der Zugang zu mehreren Kellern und durch den längeren dunklen Korridor kam man zur Dunkelkammer. Eine breite Steintreppe, beidseitig mit Geländern gesäumt, führte in den 1. Stock zu einem geräumigen Saal, dessen Rückwand verglast war (Bild Nr. 4). Im Sommer fanden hier zahlreiche Ausstellungen statt. Vom Vestibül aus wurde in das Büro von der linken Seite hereingetreten, von wo aus das Büro des Direktors betreten werden konnte. Auf dieser Seite der Halle führten schmale Steinstufen zum Büro der Mittarbeiter (Bild. 5), wo gesammelte Samen in- und ausländischer Pflanzen sortiert und eine Samenliste für Ausland, Index seminum, erstellt wurden. Von dieser Seite der Halle führte die Treppe zum Turm, wo sich eine grafische Werkstatt zur Herstellung von Namensschildern befand. Die Wohnungen einiger Mitarbeiter und ihrer Familien wurden von der rechten Seite des Vorraums betreten.
Das Vestibül der Villa Lanfranconi im Botanischen Garten, Jahr 1943. Blick von der rechten Seite der Treppe. Foto: Archiv des Denkmalamtes der Slowakischen Republik, N 15411
Eingang zum Gärtnerbüro von der linken Seite des Vorraums der Villa, von 1984. Foto: die Autorin
Eingang zur großzügigen Vierzimmerwohnung von der rechten Seite. Foto: die Autorin
Im Erdgeschoss des Schlosses befanden sich weitere Wohnungen.
Historisches Erscheinungsbild der Villa Lanfranconi von der Nordseite aus, Foto: Archiv von R. Delikát …
.. und ein Blick auf diese Seite des Schlosses in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Foto: die Autorin
Am rechten Ufer der Vydrica, gegenüber des Schlosses, befand sich ein Weinkeller, der von einer breiten Kundschaft rege besucht wurde.
Eingang zum Keller im Hintergrund, von 1982. Foto: die Autorin
Blick in den Weinkeller des Botanischen Gartens. Foto: Archiv der Autorin
Die Aufmerksamkeit der Besucher erregte auch eine Pfauenfamilie, jedes Jahr bauten Schwalben ihre Nester in dem Vestibül des Schlosses, die mit lautem Gezwitscher einflogen, um ihren hungrigen Nachwuchs zu füttern.
Der Pfau „Fero“ posiert auf dem Geländer über Vydrica. Foto: die Autorin
Die Mitarbeiter des Botanischen Gartens der CU und ihre Familien führten ein geselliges Leben. Ein beliebtes Ereignis waren die Traubenlese-Feierlichkeiten am Ende der Weinlese, verbunden mit der Zeremonie, bei der dem Direktor ein Kranz aus Weintrauben überreicht wurde. Sie wurden auch von der Universitätsleitung zahlreich besucht. Im Garten gab es hervorragenden und sehr preiswerten Wein, der in der ganzen Universität bekannt war, so endeten auch wichtige Besuche oft im Weinkeller.
Der Blick auf die Zufahrtsstraße mit blühenden Rhododendren im Frühjahr 1981. Foto: die Autorin
Die 1980er Jahre waren auch Jahre des Abrisses und des verzweifelten Versuchs, zu retten, was zu retten war. Die Entscheidung, dass eine neue Bratislava-Brücke über den Botanischen Garten der CU führen sollte, wurde von der botanischen Öffentlichkeit, insbesondere von den Mitarbeitern und Bewohnern des Gartens, mit Bestürzung aufgenommen. Lanfranconi´s Schloss, die Mündung des Baches Wödritz (Vydrica) mit den umliegenden Gebäuden und Pflanzengemeinschaften, der Weinkeller so wie eine Reihe schöner und seltener Bäume und Sträucher fielen zum Opfer.
Während der Zeit des Sozialismus waren Bürgerproteste verboten. Auf unsere schüchterne schriftliche Beschwerde antwortete die Leitung der Universität: „Pflanzen können schließlich auch an einem anderen Ort angebaut werden, Lanfranconi war ein Kapitalist und seine Villa ist ein wertloses Gebäude …“.
Die Mitarbeiter des Botanischen Gartens versuchten, mindestens mehrere Dutzend seltene Bäume und Sträucher zu retten, die sie mit Hilfe schwerer Technik an geeignete Orte verpflanzten. Aber nur die Magnolie überlebte. Auch die Tageszeitung Smena reagierte auf die verzweifelten Bemühungen der Gärtner, als sie am 20. März 1985 einen Artikel mit dem treffenden Titel „Bäume mit Reisefieber“ über die Umpflanzung eines seltenen, 35 Jahre alten Ambrosiabaums (Liquidambar styraciflua) veröffentlichte, welche unter den Fenstern der Villa wuchs. Die Mieter der Villa und der angrenzenden Gebäude wurden nach und nach in Wohnblöcke in Petržalka umgesiedelt.
Ich habe 17 schöne Jahre meines jungen Lebens in Lanfranconis Villa verbracht. Wir spielten mit den einheimischen Kindern an den blühenden Steingärten und auf den frischen Rasenflächen des Gartens. Für uns Kinder war sogar das Hochwasser der überlaufenden Donau, die den Botanischen Garten in cca 1977 betroffen hat, sehr atraktiv. Mit kindlicher Freude begrüßten wir die überschwemmte Umgebung der Villa, weil wir auf Schlauchbooten fahren konnten. Später halfen wir bei der Verarbeitung der Trauben (pro Jahr wurden etwa 10-12 Tonnen produziert) im Weinkeller und nahmen anschließend an den Traubenlese -Feierlichkeiten teil. In der Nähe der Villa an den Teichen lernte ich für die Schule.
Als wir an Silvester 1985 als letzte Bewohner der Villa aus einer geräumigen Wohnung nach Petržalka vertrieben wurden, wo uns eine kleine Zweiraumwohnung als alternativer Wohnort zugewiesen wurde, hatten wir Monate des Lebens hinter uns, wie aus Tajovský´s berühmten Werk „Mamka Pôstková“ herausgeschnitten. Es gab nichts zum Heizen, die Wände in der Villa waren feucht, also haben wir mit gesammeltem Bauholz vom Gerüst aus Mlynská dolina die Räume beheizt. Wir waren auch Angriffen von Plünderern von Objekten ausgesetzt, die zum Abriss bestimmt waren.
Heute sind uns nur noch schöne Erinnerungen an ein märchenhaftes Leben in einem wunderschönen Schloss und eine Sammlung von Dias und Fotos aus dieser Zeit geblieben.
Katarína Schwarzová
Abriss der Villa von Lanfranconi im April 1986 (Blick von der Nordseite). Im Hintergrund hinter der Villa sieht man das Gewölbe des Weinkellers. Foto: die Autorin