Wohin ist der Körper junger Frau vom Andreas-Friedhof verschwunden?

Geschichte
3. September 2023

Es ist sicher nicht nötig einem Pressburger oder einer Pressburgerin den Andreas-Friedhof vorzustellen. Er wurde im Jahre 1784 als Ersatz für den verhältnismäßig kleinen und schon damals überfüllten St. Andreas-Friedhof gegründet, der sich hinter dem Lazarett auf der Donaustrasse erstreckte. Neuer Friedhof zählte zum Gemeinde St. Martin und im Laufe der folgenden Jahrzehnte wurde er zur letzten Ruhestelle bedeutender Persönlichkeiten und Familien unter den Katholischen in Bratislava. Jakob Palugyay, Ferdinand Martinengo, Tivadar Ortvay, Henry Prüger, oder Julius Satinský, Historie dieser Namen begegnet sich gerade auf dem Andreas-Friedhof. Im April 1821 wurde hier auch die nicht mal 18-jährige Konstantia Schönbauer zur Ruhe beigesetzt.

Unterschrift vom Michael Schönbauer, er gibt an, dass er als Arzt und Ehrenarzt des Pressburger Kommitats tätig ist (1816). Quelle: Archiv der Stadt Bratislava

Die Schönbauer

Auf dem Andreas-Friedhof, neben seiner vorzeitig verstorbenen Tochter, wurde auch ihr Vater Michael Schönbauer (1777-1860) beigesetzt, der im Buch über den Andreas-Friedhof von Viera Obuchová erwähnt wurde. Folgendes wird über ihn geschrieben: „M. Schönbauer zählte zu bedeutenden Ornithologen, aber auch  Ärzten-Wissenschaftlern, er befasste sich mit der Einbalsamierung. Sein eigenes Patent hat er auf seiner Verwandten ausprobiert. Wenn diese nach Jahrzehnten exhumiert wurde, war ihr Körper im selben Zustand wie z.Z. der Beerdigung.“ (Obuchová, 2004, s. 87).

Diese Informationen sind aber ungenau, oder sogar falsch. M. Schönbauer war kein Ornithologe, sondern praktischer Arzt, Ehrenbürger der Stadt Bratislava, er war Unternehmer und Pionier auf dem Gebiet der Sprudelwein – Produktion. Er hat sich öffentlich engagiert, als Mitglied des Außen-Stadtrates bemühte er sich zur Entwicklung der Stadt und des Landes, wie auch verschiedener Verbände, seinen Beitrag zu leisten. Er zählte zu anerkannten Fachärzten und Intellektuellen, soweit uns bekannt ist, war er auch der erste Arzt, der auf dem Gebiet der heutigen Slowakei die erste Vakzination gegen Pocken durchgeführt hat (sog. „Jenner-Methode). Im Erwachsenenalter war er in Bratislava allgemein bekannt, mindestens bei der mittleren und höheren Bevölkerungsschicht.

Das Privatleben von Dr. Schönbauer war aber nicht besonders glücklich. Seine Ehefrau Elisabeth, geb. Barbarino, ursprünglich vom Schlossgrund, starb im Jahre 1812 im Alter von 29 Jahren an Tuberkulose. Dr. Schönbauer hat nicht mehr geheiratet, er blieb alleine mit zwei Kindern. Sein Sohn Michael Louis ist in seinen Spuren gegangen, er studierte Medizin in Wien, aber im Jahre 1835 ist er in Pisa plötzlich gestorben. Er war gerade 29, wie seine Mutter. Seine Tochter Konstantia hat noch vor ihrem Bruder diese Welt verlassen, und zwar am 12. April 1821. Im Buch von Obuchová wird es zwar nicht erwähnt, aber gerade seine Tochter sollte nach ihrem Tode vom Vater einbalsamiert werden.

Grabsteine von Michael Schönbauer (hinten rechts) und seiner Tochter Konstantia (hinten links). Quelle: Museum der Stadt Bratislava, Foto: Ovidius Faust (1962)

Konstantias Tod

Über das Leben von Konstantia werden wir wahrscheinlich nichts mehr feststellen können. Wir können aber etwas über ihren Tod erfahren. Als Hauptquelle hilft uns der Totenregister, bzw. Register von Bestatteten der Gemeinde  St. Martin. Hier wurde vom hiesigen Pfarrer das lateinische Wörtchen tabes eingetragen. Dies ist ein Wort von mehreren Bedeutungen, aber im damaligen Zeitkontext bedeutet es ein langsames, körperliches Verschwenden als Symptom einer chronischen Erkrankung. Damalige Medizin war im Vergleich mit der heutigen bedeutend beschränkt, von einer Diagnostik kann keine Rede sein. Wir können aber sagen, dass auch ein erfahrener Arzt wie Dr. Schönbauer war nicht im Stande die Ursache des Todes seiner geliebten Tochter festzustellen, und gerade deswegen konnte er sie auch nicht retten.

Bestattungsdatum der Konstantia Schönbauer ist uns nicht bekannt, diese Angaben wurden damals von Pfarrern-Registratoren noch nicht eingetragen. Die Gräber und Grabsteine der Schönbauer wurden nicht erhalten geblieben. Nach der Körperexhumation wurden die Grabsteine zum Friedhofmauer verschoben, wo diese vom Zahn der Zeit zernagt wurden. Die Dokumentation der städtischen Bestattungsanstalt Marianum bezeugt, dass der Pylon-Grabstein aus Sandstein der Schönbauer im Jahre 1982 eingegangen ist.

Nach den Zeitfotos ist aber festzustellen, dass den Grabstein seiner Tochter eine dekorative Artischocke geschmückt hat, unter dieser stand die Anschrift CONSTANTINAE FILIAE MOESTUS PATER SCHÖNBAUER MDCCCXXI. Übersetzt: trauernder Vater Schönbauer der Tochter Konstantia, 1821. Wenn  nach 39 Jahren nach der Tochter auch der Vater beigesetzt wurde, standen beide Grabsteine jahrzehntelang nebeneinander. Für die Friedhofsbesucher, die die Anschrift  verstanden haben, stellte diese nur noch Trauer und unbekannten Schicksal dar.

Beschädigter Grabstein der Konstantia Schönbauer. Die Anschrift ist aber gut zu erkennen, Wörter des Vaters zu seiner Tochter. Quelle: Museum der Stadt Bratislava, Foto: Ovidius Faust (1966)

Entdeckter Körper

Nach dem Tode von Michael Schönbauer gelangen die Schönbauer in Vergessenheit, die Familienlinie ist mit dem alten Doktor ausgestorben und sein Vermögen wurde von seinen Taufkindern vererbt. Diese waren aber mit ihm in keiner Verwandtenbeziehung. Erst zwischen den zwei Kriegen wurde der Name Schönbauer wieder flektiert. Nach dem Archivar Ovidius Faust wurde im Jahre 1928 „durch Zufall“ der einbalsamierte Körper von Konstantia Schönbauer entdeckt. Es ist der Liquidation von Grabstelle zuzuschreiben, weil für diese keiner mehr bezahlt hat. Dies ist auch mit der Exhumation des Grabes verbunden. Nach Faust war ihr Körper „vollkommen erhalten, mit beweglichen Gelenken, erhaltenem Haar, in die  Augenhöhlen wurden Glasaugen eingesetzt. Das Kleid aus weißer Seide wurde komplett zerlegt.“ Die überraschten Gesichter der Totengräber kann sich jeder vorstellen.

Sicherlich wurde zur Hilfe der Friedhofverwalter zugerufen, der sich an die gehörige ärztliche Kapazität wenden musste. Darüber haben wir aber keine Unterlagen zur Verfügung. Wir wissen nicht wie der Körper gelagert wurde. Meistens wurden die einbalsamierten Körper in Steinsargen und Graben beigesetzt, damit diese vor den Außen-Umständen geschützt werden und der Gewebedegradation vorgebeugt wird. Konstantia Schönbauer wurde aber  in die Erde beigesetzt. Ein Holzsarg wurde aber nach einiger Zeit zerfallen und der Körper könnte es nicht in gutem Zustand aushalten. Wurde die Tochter des erfolgreichen Arztes in einen Zinnsarg, oder in einen anderen dauerhaften Sarg reingelegt? Das können wir z.Z. nur vermuten.

Ovidius Faust schreibt, dass sich seiner Zeit Prof. Virchow um diesen Körper interessierte, es ist ihm aber nicht gelungen die einzelnen Zutaten der Konservierungsstoffe zu erkennen, bzw. das Balsamierungsverfahren. Scheinbar handelt es sich um  Hans Virchow (1852-1940), deutschen Professor der Anatomie. Langjähriger Universitätspädagoge aus Berlin war derzeit schon im Ruhestand.

Wie war der Weg von Konstantia Schönbauer? Wurde sie zum Forschungsprojekt in Berlin? Und ist Ovidius Faust überhaupt glaubwürdig?

Wir haben keine Abbildung von Konstantia Schönbauer, in der Galerie der Stadt Bratislava ist aber das Portrait ihres Bruders erhalten, gemalt wahrscheinlich in den Jahren 1831-1835. Wer weiß, ob  die zwei geähnelt haben. Quelle: Galéria mesta Bratislavy;  Foto © Archív GMB

Interpretationen

Als erstes werden wir uns alles ein bisschen problematisieren. Trotz hoher Meinung über Ovidius Faust handelt es sich um eine problematische Quelle. Dieser Stadtarchivar inklinierte zur Fabulation, zur Bildung oder Verbesserung seiner eigenen historischen Geschichten, wodurch er sich selbst und die Stadtgeschichte breiter Öffentlichkeit präsentierte. Faust hat über Schönbauer nur sehr wenige Kenntnisse gehabt, und trotzdem hat er nicht gezögert zu schreiben, dass er der jenige sei, der den Körper seiner eigenen Tochter einbalsamiert hat. Diese Voraussetzung muss aber nicht falsch sein. In Frage kommt auch irgendein sein naher Freund, Fachmann aus der Universität in Wien, oder aus einem Krankenhaus. Mit diesen Institutionen stand auch Schönbauer in Verbindung. Wir müssen aber voraussetzen, dass dies eine diskrete Angelegenheit war, da die katholische Kirche mit einem Ressentiment die Balsamierung angesehen hat. Diese Praktik war nämlich im direkten Widerspruch mit dem biblischen  du bist Staub und zum Staub wirst du zurückkehren. Also, in den katholischen Ländern, darunter auch in Ungarn, wurde die Einbalsamierung von toten Körpern für umstritten gehalten.

Ich persönlich neige zum Nachdenken, dass wir den Grund dieser Geschichte Faust glauben können, im Jahre 1928 stand er an der Spitze der Wissenschaftlichen Institutionen der Stadt Bratislava. Über den balsamierten Körper würde er bestimmt nicht nur hören, sondern würde er angesprochen um über Schönbauer relevante Informationen festzustellen. Leider, der Archivforschung ist es bis jetzt nicht gelungen ein Zeitdokument zu entdecken, wodurch die vom Faust  publizierten Geschichten und Informationen bestätigt würden. Im Jahre 1986 wurde in der Zeitung Zdravie ein Artikel zu diesem Thema vom František Tkáč veröffentlicht, leider nur in Bezug auf die Unterlagen des damals schon verstorbenen Archivars. Es ist mir nicht gelungen irgendeinen Artikel vom Prof. Virchow zu entdecken, in welchem er sich mit den Resultaten seiner Forschung auf dem Körper von Konstantia Schönbauer befassen wurde.  Immer noch ist es aber möglich, dass es solchen Artikel gibt, erst aber nach gründlichem Studium seiner wissenschaftlichen- und Publikationstätigkeit können wir uns sicher sein.

Einbalsamierung in der Geschichte

Die Einbalsamierung stellt eine Zusammensetzung von verschiedenen Techniken, die die Zersetzung der körperlichen Überreste verhindern, dar. Bestimmt fällt vielen unter euch die uralte ägyptische Zivilisation ein, wo die Balsamierung der Toten  einen untrennbaren Anteil an die Vorbereitung zum Leben nach dem Tode dargestellt hat. Nicht nur die Ägypter, sondern viele anderen uralten Nationen haben sich mit der Balsamierung befasst, wobei diese immer einen komplexen religiösen und kulturellen Grund gehabt hat.

Über moderne Balsamierung können wir uns seit dem 18. Jahrhundert unterhalten. Dank unabhängiger Tätigkeit der britischen, französischen und holländischen Anatomen wurde von den Wissenschaftlern entdeckt, dass durch das Einspritzen von verschiedenen chemischen Stoffen in den arteriellen Körpernetz der Zersetzungsprozess verlangsamt wird. Diese Methode wurde mit der Zeit immer vollkommener. Die Ärzte und Wissenschaftler wurden vom Verlangen nach neuen Kenntnissen getrieben, nach einiger Zeit aber wurde die Balsamierung zum kulturellen Phänomen, welcher manchmal mit wirklich bizarren Situationen verbunden war. Bekannt ist z.B. der Fall des britischen Zahnarztes Martin van Butchell. Er hat seine tote einbalsamierte Ehefrau im Jahre 1775 in dem Auslagefenster seiner Praxis ausgestellt. Dieser wurden auch Glasaugen eingesetzt, ähnlich wie bei Konstantia Schönbauer. Es handelte sich um gewöhnliche Praxis, da das Auge hauptsächlich aus Wasser besteht und es hatte keine Chance in den Augenhöhlen erhalten zu bleiben. Der Körper wurde schließlich vom Butchell aus dem Auslagefenster beseitigt und endete später im Museum der englischen königlichen Akademie für Chirurgie. Die Einbalsamierung war aber von unausreichender Qualität und bei dem Körper ist langsam die Zersetzung eingetreten. Im Jahre 1941, während der deutschen Bombardierung, wurde er definitiv vernichtet.

Zur Lebenszeit vom Dr. Schönbauer war die Balsamierung keine Alltagssache, diese wurde aber aus verschiedenen Gründen durchgeführt. Z.B. nach dem gewaltsamen Tod von Admiral Horatio Nelson nach der Schlacht bei Trafalgar im Jahre 1805 wurde sein Körper über zwei Monate lang in einer Lösung vom Alkohol, Kampfer und Myrrhe konserviert. Zur Zeit der großen staatlichen Beerdigung waren überhaupt keine Zeichen von physischer Degradation des Körpers deutlich. Mehrere ähnliche Fälle wurden festgestellt, besonders bei bedeutenden Persönlichkeiten. Die Zeit zwischen dem Tode und der Beerdigung in diesen Fällen hat sich bedeutend verlängert, da verschiedene Zeremonien vorzubereiten waren. Auch in Ungarn wurden die Körper bedeutender Persönlichkeiten einbalsamiert, wie z.B. Graf Johann Pálffy, der Schöpfer des heutigen Schlosses Bojnice, er ist im Jahre 1908 verstorben.

Abschluss

Im Falle von Konstantia Schönbauer ist keine zeremonielle Beerdigung vorauszusetzen, sie war einfach keine ausreichend bedeutende Persönlichkeit. Im Laufe des 19. Jahrhundert ist die allgemeine Nachfrage nach Einbalsamierung gestiegen, hauptsächlich aus persönlichen, sentimentalen Gründen. Manche besser situierten Leute wollten in verschiedenen, oft weit entfernten, Lokalitäten bestattet werden, zu welchen diese während ihres Lebens irgendeine Beziehung gehabt haben. Auch Dr. Schönbauer konnte seine Tochter nur aus sentimentalen Gründen balsamieren. Er hat vielleicht gehofft, dass der Körper eines Tages in der Zukunft entdeckt wird und man wird die Todesursache feststellen können.

Mit den heutigen, modernen Wissenschaftsmethoden könnten wir aus ihrem Körper viel Neues erfahren. Vielleicht auch welche Krankheit, Infektion oder Bakterie, höchstwahrscheinlich, sich hinter ihrem Tod versteckt. Wir würden feststellen wie sie ausgesehen hat und welche Techniken von ihrem Vater bei der Einbalsamierung benutzt wurden. Dies ist bestimmt nicht uninteressant, weil diese kleine Episode aus unserer Geschichte nur sehr unausreichend überprüft wurde. Wir können nur hoffen, dass wir von weiterer  Forschung nach vorne verschoben werden. Wir werden vielleicht erfahren wie das Wandern des Körpers von Konstantia Schönbauer bis zum Professor Virchow ausgesehen hat und wo der Körper sein Ende gefunden hat. Und vielleicht auch…wo sich der Körpez z.Z. befindet.

Štefan Hrivňák

Übersetzung: Ivica Tvrdoňova

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